Atheistischer Religionsunterricht – Die Quadratur des Kreises? 1


SchulbankÜberlegungen und Anregungen im Hinblick auf ein zwar bei Weitem noch nicht etabliertes, aber auch nicht völlig denkunmögliches Unterrichtsfach. Von Klaus Steinkellner

Unterricht stellt in gewisser Weise immer eine „Quadratur des Kreises“ dar. Aufgrund der Tatsache, dass Lehrpersonen den Auftrag haben, einen bestimmten Inhalt einer Vielzahl von unterschiedlichen Individuen näher zu bringen, kann es ein absolutes „richtig“, zumindest was die Art und Weise der Wissensvermittlung betrifft, nicht geben. Im geisteswissenschaftlichen Bereich, dem ich auch den Religionsunterricht zurechne, gilt dies zu weiten Teilen auch für den Inhalt selbst. Das Ziel von Unterricht im Allgemeinen muss daher, wie der Vergleich bereits aussagt, eine weitest mögliche Annäherung an das bestmögliche Ergebnis sein. Gerade auf einen atheistischen Religionsunterricht wird das aufgrund der Heterogenität dieser Geisteshaltung in besonderem Maße zutreffen.

Zu aller erst drängt sich natürlich die Frage auf, ob Religionsunterricht im Zusammenhang mit Atheismus überhaupt Sinn macht. Wenn man so wie wir Atheismus als eine Form des religiösen Bekenntnisses begreift, kommt man allerdings unter anderem um die Fragen der religiösen Erziehung sowie der Befriedigung der religiösen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht herum. In unserem Verständnis erfordert ein wirkliches Bekenntnis zu jeder, auch und besonders zu unserer Religion eine gewisse Reife und Mündigkeit, die man einerseits von Kindern nicht verlangen kann und darf. Eine Bekenntnisgemeinschaft wie die Atheistische Religionsgesellschaft trägt jedoch andererseits immer eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Es ist meiner Ansicht nach unumgänglich, dass sie dieser auch gegenüber Kindern und Jugendlichen nachkommt, die altersbedingt diese Voraussetzungen für ein Bekenntnis im eigentlichen Sinne noch nicht vollständig erfüllen, gerade wenn ihnen eine Alternative, aus welchen Gründen auch immer, nicht oder nur unzufrieden stellend zur Verfügung steht.

Der Religionsunterricht im Rahmen der schulischen Ausbildung stellt dabei eine sehr gute Möglichkeit dar. Ich halte es aus den oben genannten Gründen für wichtig, diesen nach Möglichkeit ab dem Schuleintritt zur Verfügung zu stellen, jedoch ohne jeden Zwang und missionarischen Eifer. Die derzeitige Rechtslage in Österreich versteht den konfessionellen Religionsunterricht als Pflichtfach, bietet aber die Möglichkeit, sich abzumelden beziehungsweise (vor der Erlangung der Religionsmündigkeit) von den Erziehungsberechtigten abmelden zu lassen. Um unserer Auffassung, dass wie alles andere auch der Religionsunterricht tatsächlich als Angebot und nicht als Verpflichtung zu sehen ist, Rechnung zu tragen, sollte auf diese Möglichkeit zu Beginn jedes Schuljahres klar, etwa in Form eines Informationsblattes, hingewiesen werden. Des Weiteren sollte den Schülerinnen und Schülern sowie den Erziehungsberechtigten ein möglichst detaillierter, jedoch altersgerechter und allgemein verständlich aufgearbeiteter Überblick über den Lehrstoff des jeweiligen Jahrganges vermittelt werden, um ihnen eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen.

Als nächstes gilt es zu definieren, was dieses bestmögliche Ergebnis ist, dem wir uns annähern wollen. Atheistischer Religionsunterricht hat meines Erachtens vorrangig zwei Funktionen zu erfüllen: Einerseits eine Hilfestellung in schwierigen Lebenssituationen und bei alltäglichen Problemen zu bieten. Sozusagen, dabei zu helfen, einen eigenen Weg im Leben ohne Gott zu finden, ohne einen solchen dogmatisch vorzugeben. Andererseits einen respektvollen Umgang mit (anders)gläubigen Menschen zu pflegen und die eigene Urteilsfähigkeit zu stärken. Spätestens ab der 9. Schulstufe, wenn die Schülerinnen und Schüler das Alter der Religionsmündigkeit erreicht haben, kommt die bewusste kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Religiosität als Lehrziel hinzu.

Selbstverständlich erfordert die konkrete Auswahl der Inhalte ein besonderes Fingerspitzengefühl, besonders in den unteren Jahrgängen. Die Kinder und Jugendlichen sollen bestmöglich in der Entwicklung ihrer Reflexions- und Kritikfähigkeit unterstützt werden. Aktive Partizipation ist von Anfang an in jedem Fall zu fördern. Im Folgenden präsentiere ich einen kurzen Abriss, wie eine sinnvolle Zusammenstellung und Aufteilung der Lehrinhalte aussehen könnte:

Primarstufe

Im Bereich der Primarstufe (erste bis vierte Schulstufe, Volksschule bzw. die ersten vier Jahre der Sonderschule) erachte ich folgende Fragestellungen für wesentlich:

  • Warum gehen andere Menschen in die Kirche/Moschee/Tempel und ich/wir nicht? Was geschieht dort? Diese Fragestellung sollte mit Fokus auf die lokalen beziehungsweise regionalen Umstände behandelt werden.
  • Andere bekommen zu Weihnachten Geschenke und feiern mit ihren Familien. Dürfen wir das auch, obwohl wir keine Christen sind? Weihnachten soll hier nur ein Beispiel darstellen, im Jahresverlauf sollen die wichtigsten religiösen Traditionen und Feste, auch aus anderen Religionen als dem Christentum besprochen werden.

Eine erste Wertvermittlung von Toleranz und Freiheit sowie deren Grenzen in niederschwelliger Form sollte ab der ersten Schulstufe stattfinden.

Außerdem halte ich es für sinnvoll, schon hier einen ersten kindgerechten Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Welt sowie der Menschheit nach dem aktuell anerkannten Forschungsstand zu geben. Vergleichend soll aber auch darüber, wie die diesbezüglichen Vorstellungen anderer Religionen aussehen, gesprochen werden.

Sekundarstufe I

Ab der Sekundarstufe I (fünfte bis achte beziehungsweise neunte Schulstufe, Neue Mittelschule, AHS-Unterstufe, Polytechnische Schule, Sonderschuljahrgänge 5-8 sowie die Auslaufmodelle Volksschuloberstufe und Hauptschule) bietet sich auch die Möglichkeit des fächerübergreifenden Unterrichts an, in erster Linie kann das Zusammenspiel mit den Inhalten der Unterrichtsfächer Geschichte und Sozialkunde sowie Biologie und Umweltkunde, teilweise auch Geographie und Wirtschaftskunde genutzt werden. Auch ein erstes selbstständiges Erarbeiten von Inhalten (alleine und in Gruppen), etwa in Form von Referaten sollte bereits stattfinden. Wesentliche Inhalte für diese Altersgruppe sind:

  • Was ist Moral und wie entsteht sie? Wie beeinflusst sie mein persönliches Leben?
  • Welche Werte fördern das Zusammenleben und sind deshalb als erstrebenswert anzusehen? Wie ist die Position anderer Religionen dazu? Die Schwerpunktsetzung sollte diesbezüglich ebenfalls von den jeweiligen regionalen Gegebenheiten ausgehen.
  • Seit wann existieren welche Religionen und wie sind sie entstanden? Wie hat sich ihr Verhältnis zueinander entwickelt und wie sieht es heute aus?
  • Welche Religionen und Denkrichtungen innerhalb dieser gibt beziehungsweise gab es außerhalb unserer näheren Umgebung noch?
  • Welche Bedeutung haben Rituale wie Taufe, Hochzeit oder Bestattung in anderen Religionen, und warum handhaben (manche) Atheistinnen und Atheisten das anders oder legen keinen Wert darauf?

In den oberen Jahrgängen sind des Weiteren die Vermittlung eines verantwortungsvollen Umganges mit der eigenen Sexualität und ein respektvoller Umgang mit anderen sexuellen Orientierungen sowie alternativen Formen des Zusammenlebens anzustreben.

Des Weiteren sollen selbstverständlich auch die Inhalte der Primarstufe in angepasster Form wiederholt und vertieft werden, insbesondere der Themenkreis „Entstehung und Entwicklung der Welt“.

Ab der neunten Schulstufe ist der Umstand, dass die Schülerinnen und Schüler bereits religionsmündig sind, zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass neben einer entsprechenden Auswahl der Lehrinhalte auch eine Anpassung des pädagogischen Konzeptes vorzunehmen ist: Der Unterricht soll weitestgehend von Diskussion und selbstständiger Arbeit getragen werden und die Lehrperson eher die Rolle eines Beraters und Beobachters als eines Vortragenden einnehmen. Des Weiteren sollte die eingangs erwähnte Information über die Unterrichtsinhalte und das Recht zur Abmeldung vorrangig an die Schülerinnen und Schüler selbst statt an die Erziehungsberechtigten gerichtet und dem entsprechend konzipiert sein.

Sekundarstufe II

Auch in der Sekundarstufe II (AHS-Oberstufen, Berufsbildende höhere und mittlere Schulen sowie Berufsschulen) kann fächerübergreifender Unterricht ein wichtiges Element darstellen, vor allem was Themenbereiche betrifft, die sich mit Geschichte, Biologie, Staatsbürgerkunde, Physik sowie Philosophie auseinandersetzen. Auf eine genaue Auflistung der Unterrichtsfächer verzichte ich hier bewusst, da aufgrund der schulspezifischen Unterschiede für ähnliche Gegenstände teilweise verschiedene Bezeichnungen verwendet werden. Neben der weiteren Vertiefung der bisherigen Lehrinhalte (hier vor allem die Themenkreise „Entstehung und Entwicklung der Welt“, „Verhältnisse der Religionen zueinander“ und „Sexualität und Partnerschaft“) sollte der Lehrstoff die folgenden Bereiche beinhalten:

  • Welche rechtlichen und sozialen Aspekte gehen mit meiner Religionszugehörigkeit einher?
  • Welchen Einfluss kann ein Bekenntnis zum Atheismus auf mein tägliches Leben, auf mein gesellschaftliches und zukünftiges berufliches oder akademisches Umfeld haben?

Vor allem diese beiden Fragestellungen sollten auch bereits in den Unterricht in Polytechnischen Schulen einfließen, da diese ebenso wie die ersten Jahrgänge der Sekundarstufe II die 9. Schulstufe repräsentieren.

Des Weiteren sollte eine Einführung in die verschiedenen philosophischen Denkansätze zu Religion, Religionskritik und Atheismus stattfinden.

Neben den hier angeführten existieren natürlich noch Themenbereiche, die unabhängig vom der jeweiligen Jahrgang immer präsent sind. Diese müssen ebenfalls Teil der Lehrpläne für jede Schulform und -stufe sein und altersgemäß aufgearbeitet werden. In erster Linie betrifft dies soziale Kompetenzen wie zum Beispiel Konfliktbewältigung, eine positive Einstellung zum Leben und der Welt sowie ein verantwortungsvoller Umgang mit sich selbst und der Umwelt.

Eine besondere Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass die Atheistische Religionsgesellschaft, im Gegensatz zu anderen Glaubensrichtungen, nicht auf ein allgemein gültiges „heiliges Schrifttum“ zurückgreifen kann. Da atheistischer Religionsunterricht, wenn es gelingt, ihn zu etablieren, absolutes Neuland ist, existieren derzeit zudem noch keinerlei Schulbücher, Lehrfilme oder sonstige auf den Unterrichtsgebrauch zugeschnittene Unterlagen. Darin, solche zu erarbeiten, sehe ich einen wichtigen Schritt.

Selbstverständlich sollen die hier ausgeführten Überlegungen weder ein starres Konzept darstellen, noch erheben sie Anspruch auf Vollständigkeit. Bis es tatsächlich atheistischen Religionsunterricht im Schulbetrieb geben kann ist es noch ein weiter Weg. Alleine die Diskussion über Ziele und Inhalte ist noch lange nicht abgeschlossen. Dieser Artikel soll ein Beitrag dazu sein, diese in konstruktiver Weise voran zu bringen.

Klaus Steinkellner, ausgebildeter Pädagoge, ist seit Jahren bekennender Atheist und Mitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich.


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Ein Gedanke zu “Atheistischer Religionsunterricht – Die Quadratur des Kreises?

  • Nondual

    Nondualer Religionsunterricht könnte man es auch nennen, einen Referenzpunkt außerhalb des Monotheismus mit Dualer Weltanschauung, könnte die Positionierung erleichtern.
    Bei den tantrischen Buddhisten wird es als referenzfreier Raum genannt, wie der Raum keine Ränder hat und kein Zentrum, ähnlich scheint es mit unserem Geist zu sein.