Unsere Replik in der NZZ auf Konrad Paul Liessmann


In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ist kürzlich ein Kommentar von Konrad Paul Liessmann zu unserem Eintragungsantrag beim Kultusamt erschienen. Daraufhin habe ich mit der NZZ Kontakt aufgenommen. Einer ersten E-Mail der NZZ-Redaktion war zu entnehmen, es wäre allenfalls denkbar, dass ich “eine Replik mit 3600 Zeichen incl. Leerschläge” für die NZZ schreibe.

Auf dieser Grundlage haben wir der NZZ dann folgende Replik (mit insgesamt 3.558 Zeichen) übermittelt:

Si tacuisses …

Am 14. Jänner 2020 hat Konrad Paul Liessmann in der „Neuen Zürcher Zeitung“ in einer Kolumne unter dem Titel „In Österreich verlangt eine Gruppe von Atheisten die Anerkennung als Religionsgemeinschaft“ einen religionsrechtlichen Antrag kommentiert, der kürzlich am 30. Dezember 2019 von der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG, atheistisch.at) beim Kultusamt im Bundeskanzleramt der Republik Österreich eingebracht worden war. In einer Bildunterschrift wird er ausdrücklich als Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik vorgestellt. Mit seiner Frage „Was steckt dahinter?“ im Untertitel signalisiert Herr Liessmann, zur Aufklärung beitragen zu können. Allerdings kann er den Antrag weder gesehen noch inhaltlich näher kennengelernt haben (das kann neben der ARG nur das Kultusamt), legt diesen Umstand aber nicht offen. Sieht so ein seriöses Vorgehen aus?

Natürlich kann Herr Liessmann (s)einen eigenen Begriff von Religion entwickeln und vertreten. Er sollte allerdings nicht davon ausgehen, dass dieser ohne Weiteres für andere verbindlich sei.

Herr Liessmann vermittelt in seinem Text den Eindruck, dass Religion den Glauben an einen Gott voraussetze. Das Beispiel der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, die sich als nichttheistisch versteht und in Österreich seit 1983 als Religionsgesellschaft gesetzlich anerkannt ist, zeigt aber sehr deutlich, dass dies nach österreichischem Recht nicht zutrifft. Es trifft auch im Sinne der EU-Richtlinie 2011/95/EU (der sog. „Statusrichtlinie“) nicht zu, die in der Europäischen Union aktuell geltendes Recht ist und in ihrem Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b sehr klar festlegt: „der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen“.

Mit keinem einzigen Wort deutet Herr Liessmann etwa auch nur an, dass Religion auch ein kultureller Raum ist, in dem existenzielle Fragen gestellt werden können, und dass eine ernsthafte Beschäftigung mit solchen Fragen auch aus einer atheistischen Perspektive heraus sinnvoll und möglich ist. Eine wirklich „kritische“ (im Sinne von genau „unterscheidende“) Religionskritik sollte auch ein positives Potenzial von Religion wahrnehmen können. Und wenn wir schon beim Fragenstellen sind: Mit welchen Narrativen, Ritualen usw. können auch wir Atheistinnen und Atheisten in Form seelsorgerischer Praxis zu einem guten Leben beitragen? Solche Fragen zu stellen ist sicherlich kein Abdanken von Rationalität.

Der Wiener Religionswissenschaftler Gerald Hödl ist als Religionswissenschaftler der Meinung, dass das Religionsverständnis von Herrn Liessmann, wie es sich im Kolumnentext zeigt, a) die Diskussion um den Religionsbegriff, wie er fachwissenschaftlich geführt wird, ausblendet und b) auf einer zu geringen religionsgeschichtlichen Basis aufgebaut erscheint. Genau so schätzen auch wir das ein.

Wir sind der Überzeugung, dass unsere religiöse Einstellung genauso legitim ist wie jene anderer Religionen und für viele Menschen eine interessante Alternative bieten kann. Damit das auch in der öffentlichen Wahrnehmung und auch im Rahmen des geltenden österreichischen Religionsrechts Anerkennung findet, haben wir einen Antrag auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft gestellt. Dazu stehen wir. Als Präsidiumsmitglieder der ARG laden wir auch Konrad Paul Liessmann zu einem neuen, realistischeren und entspannteren Blick auf Religion, Atheismus und die ARG ein.

Wilfried Apfalter, Nikolaus Bösch-Weiss, Martin Marot-Perz, Karl Wergler*

In einer zweiten E-Mail wurde ich dann gefragt, ob die NZZ – da sich in der Zwischenzeit die Beiträge türmen würden – den Beitrag etwas gekürzt (und zwar von der NZZ gekürzt) auf die Zuschriftenseite nehmen dürfe. Die NZZ brächte ihn sonst nicht in nützlicher Frist unter.

Unsere Replik auf Konrad Paul Liessmann wird nun also in sehr verschlankter Form als Leserbrief “in den nächsten Tagen” in der Printausgabe der NZZ erscheinen:

Atheismus und Religion

In seiner Kolumne hat Konrad Paul Liessmann einen religionsrechtlichen Antrag der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich kommentiert (NZZ, 14.1.20). Allerdings kann er den Antrag weder gesehen noch inhaltlich näher kennengelernt haben. Herr Liessmann vermittelt in seinem Text den Eindruck, dass Religion den Glauben an einen Gott voraussetze. Das Beispiel der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, die sich als nichttheistisch versteht und in Österreich seit 1983 als Religionsgesellschaft gesetzlich anerkannt ist, zeigt aber sehr deutlich, dass dies nach österreichischem Recht nicht zutrifft; und es trifft auch im Sinne der EU-Statusrichtlinie  nicht zu, die klar festlegt: «… der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen». Herr Liessmann lässt außer Acht, dass Religion auch ein kultureller Raum ist, in dem existenzielle Fragen gestellt werden können, und dass eine ernsthafte Beschäftigung mit solchen Fragen auch aus einer atheistischen Perspektive heraus sinnvoll und möglich ist. Eine wirklich kritische Religionskritik sollte auch ein positives Potenzial von Religion wahrnehmen können. – Mit welchen Narrativen, Ritualen usw. können auch Atheistinnen und Atheisten in Form seelsorgerischer Praxis zu einem guten Leben beitragen? Solche Fragen zu stellen ist sicherlich kein Abdanken von Rationalität. Das Religionsverständnis von Herrn Liessmann, wie es sich im Kolumnentext zeigt, blendet die Diskussion um den Religionsbegriff, wie er fachwissenschaftlich geführt wird, aus. Wir sind der Überzeugung, dass unsere religiöse Einstellung genauso legitim ist wie jene anderer Religionen. Deshalb haben wir einen Antrag auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft gestellt. Dazu stehen wir. Als Präsidiumsmitglieder der ARG laden wir auch Konrad Paul Liessmann zu einem neuen, realistischeren und entspannteren Blick auf Religion, Atheismus und die ARG ein.

Wilfried Apfalter, Wien
für das Präsidium der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)

*Name von der Redaktion geändert


Über Wilfried Apfalter

Ich halte unsere Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) für ein in mehrfacher Hinsicht sehr spannendes Projekt und bin fasziniert von dem, was alles möglich ist bzw. sein wird.

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