Gott ist absolut. Sein Wille daher absolut richtig, sein Urteil, absolut gerecht. Seine Liebe absolut liebevoll, seine Existenz absolut perfekt. Das bietet eine Art Schönheit und Zweifelsfreiheit, die sich ein Erwachsener zweifelnder Mensch nur wünschen kann.
Blöd irgendwie, dass es Gott nicht gibt. (Oder auch nicht, denn gäbe es einen solchen Gott, wir müssten ihn ja bekämpfen um unser Menschsein zu verwirklichen). Jedenfalls: Gibt es überhaupt das Absolute?
Es wird oft gegen den Atheismus gesagt, dass der Verlust des Absoluten alles beliebig mache. Das muss so nicht sein, der Verlust des Absoluten macht alles relativ, was aber noch lange nicht heißt, dass deswegen alles beliebig ist. Es liegt dann an den Menschen, gerechte Urteile zu fällen, den richtigen Willen und die richtige Liebe zu finden und zu leben. Und das trotz und mit allen damit verbundenen Zweifeln. Was für eine Bürde.
Doch die kritische Betrachtung zeigt: Auch die Wege von Religionsgesellschaften, die sich auf einen absoluten Gott berufen, waren historischen Schwankungen unterworfen (Kreuzzüge, Inquisition, Kaiserkrönungen, Kriegshetze, Befreiungstheologie …), sodass dieses „Absolute“ in unserer Welt nicht erkennbar ist. Zumindest wäre die Verbindung zwischen Mensch und Gott dermaßen veränderlich, dass nichts an ihr „ewig“ wäre. Sogar wenn es einen absoluten Gott gäbe, wäre er nicht greifbar. Seine Gläubigen wären erst wieder auf sich selbst angewiesen. Gehen wir allerdings gleich davon aus, dass es Menschen waren, die sich ihre Gedanken über die Zeit gemacht haben, sie dann als absolut verklärt haben, so lösen sich einige Widersprüche auf.
Ich gehe daher davon aus, dass letztlich alle menschliche Erkenntnis relativ ist. Auch die, die sich selbst absolut nennt. Dann ist die Frage: Wie umgehen, mit der Relativität?
Sie als absolut zu verklären, wäre eine Lüge¹, und damit ein Verstoß gegen den Begriff der Wahrheit, gegen den Anspruch, sich der Wahrheit und dem Erkenntnisgewinn zu verschreiben. Deswegen bleibt die Wahl zwischen Verzweiflung und Neuorientierung.
Alle menschlichen Werte sind von Menschen erdachte, verhandelte, akzeptierte Werte. Diverse Prozesse in der Kommunikation verbreiten diese Werte zwischen Menschen, geben sie von einer Generation zur nächsten weiter, sanktionieren Abweichen von diesen Werten und machen sie dadurch zu einer sozialen Realität. Soziale Realität ist nicht naturwissenschaftliche Realität². Das Mordverbot ist kein Naturgesetz, sondern etwas, was wir Menschen in die Natur hineinerfunden haben. Und dennoch funktioniert unser Zusammenleben auf Grundlage solcher und ähnlicher Gesetze. Wir erben sie, wir können manche von ihnen hinterfragen, und wir geben sie in der ein oder anderen Form weiter.
Die Befassung mit dieser Dimension des Seins, in dem der Mythos, die Literatur, die Götter, das Soziale, Rituale und vieles mehr aufgehoben sind, bietet eine Möglichkeit seine Existenz zu erweitern, und in seinem Leben wenn schon nicht am Absoluten, so doch an dem Teil zu haben, und Teil zu nehmen, was unser Leben bestimmt. Das Richtige zu tun heißt, seine eigenen Fähigkeiten in diesen Prozess einzubringen.
Eine solche bewusst geschaffene und getragene Kultur ist das Höchste was unsere “kulturell erschaffenen Götter” sein können. Es mag nicht absolut sein, aber es bleibt unübertroffen.
Das ist ein Gedankengang. Im Sinne dieses Artikels bitte ich um Widerspruch!
Dieser Beitrag erschien in ausführlicher Form am 7. September 2014 auf https://eosphoros.plepe.at/.
Anmerkungen
¹ Um Missverständnissen vorzubeugen: Auf Grundlage meines Zugangs wäre es Verklärung und dadurch Lüge. Ich will nicht unterstellen, dass jemand, der wahrhaft an das Absolute glaubt, lügen würde.
² Ergänzend sei gesagt, dass sich die Kognitionswissenschaften verstärkt in diesen Bereich vorwagen.
Nein. Es gibt doch mehr als Absolutheitsansprüche? Widerspruch soll hier nicht geübt werden, doch könnten weitere Perspektiven auch einen Atheismus (Wozu Atheist sein? Wem tue ich denn damit einen Gefallen?) relativieren, dessen Äste reiche Frucht tragen, der dennoch seine Wurzeln noch nicht gefunden hat. Warum nicht nachschauen, was Kulturen ohne Absolutheiten mit der Welt und ihrem Leben anzufangen wissen? Die Geschichte erträgt die ständigen Unpässlichkeiten des Absoluten ja mit einer Engelsgeduld. Bis auf ihren Namen haben die Absolutheiten dieser Welt so gut wie alles abgelegt, womit sie in die Welt getreten sind.
Klarer ausgedrückt: Europa hat sich seit der Renaissance den Atheismus – vielleicht mit Erasmus von Rotterdam – angeeignet, wozu die Religionskonflikte dankenswerterweise vieles beigetragen haben. Spinoza wurde der große humanistische Religionskritiker. Es wird kein historischer Zufall gewesen sein, dass René Descartes der Begründer der modernen Wissenschaft einer seiner Zeitgenossen war.
Atheist! Feind des Glaubens! Omega-Mensch würde man heute dazu sagen; der Mensch, der seine Kritik auch umgesetzt sehen will und bereit ist, sich dem Mainstream entgegen zu stellen. Ich – ich war Atheist, als ich in die Schule ging. Danach musste ich mich zu etwas Anderem machen, denn entbunden vom Katholizismus, welche Bedeutung sollte Atheismus noch für mich haben? Ich denke, diesen Teil der Biographie kennen viele, drum endet meine Eitelkeit an dieser Stelle wieder.
Das Absolute lässt sich auch der Wissenschaft vorwerfen. Wenigstens dem öffentlichen Verständnis von Wissenschaft kann sein Drang nach Simulation und Erklärung, nach Universum und History Channel durchaus als Mystizismus vorgeworfen werden. Über ein paar geschichtliche Ecken sind Fernsehshows und Liturgien ja auch dramaturgisch verwandt miteinander.
So, jetzt aber zum Grund dieser Replique. Was ist mit den Kulturfeldern, die problemlos ihre höchsten Wesen austauschen, sie in verschiedenen Geschichten mit unterschiedlichen Mächten auftreten lassen und ihre irdischen Ebenbilder eher zu ihrem Ärgernis als Stolz werden lassen? Die griechischen Götter sind für ihre Willfährigkeit bekannt, weniger bekannt sind die auf uralter Sitte beruhenden Überlieferungen der Navajo – um ein Beispiel zu nennen. Dieses Beispiel kennt seine Ungereimtheiten. Unterbrochene Überlieferungen, Verfälschungen durch Einfluss der Europäer und Missionare, eklektizistische Mythologien verschiedener Stämme, deren historische Beziehung unklar ist. Schon von daher ganz und gar kein Absolutheitsanspruch. Was ist mit den Inhalten? Die Götter, was wir so nennen, – die ersten Wesen kennen keine klare Hierarchie. In manchen Geschichten nehmen sie unmittelbar Einfluss auf die Menschen, in anderen sind es die Animal People – Bär, Wolf, Koyote etc. -, die als Botschafter dienen; missverstanden werden oder aus Jux und Tollerei einfach ihre eigene Agenda verfolgen.
Die Trickster kennen wir auch aus afrikanischen Traditionen, doch kommt einem doch Hermes, der Gott der Diebe und Götterbote in den Sinn. Absolutheit? Wozu soll die gut sein, wenn doch so vieles unklar ist? Aus welchem Wunsch kann das Bedürfnis nach Absolutheit entstehen? Sicherheit und Geborgenheit? Nein, die finden sich bei Angehörigen und Freunden. Um ein protowissenschaftliches Weltbild zu fundieren? Dienen diese aber nicht sehr konkreten und praktischen Zwecken? Dass es wichtig war, die Wanderrouten und -rhythmen des Beutewildes zu kennen, leuchtet ein. Genauso war es für die Landwirtschaft, letztendlich waren die Sternbilder auch für die Navigation durch Steppen oder übers Meer unerlässlich. Nur, weil wir so wenig über sie wissen, brauchen wir die Vorfahren nicht für dumm verkaufen.
Zusammenfassend: Der Atheismus, oder was so genannt wird, kann sich nicht an einem absoluten Gott abarbeiten. Das ist eine Sysiphosarbeit, die von den Aussagen der Monotheismen lebt. Das kann durch eine Emanzipation von einem ebenso für absolut gehaltenen wissenschaftlichen Weltbild vollbracht werden. Das erfordert einen großen Schritt aus den europäischen Traditionen hinaus. Schon damit geraten wir ins Ungewisse. Abgesehen von Kulturunterschieden bleiben viele Überlieferungen ungewohnt unklar, missverständlich, widersprüchlich, nicht nur mehrdeutig, sie liegen auch noch in verschiedenen Überlieferungen vor. Was wir an Gemeinsamkeit finden, ist der Mensch. Das Bemühen, den Menschen als verletzlich und hilfsbedürftig zu erkennen, wird uns ein großartiges Bild vom Menschen zeigen, der die ganze Menschheit in seinem Leben ist. Die Religionen sind nicht unnütz. Wir brauchen eine Religion, die atheistisch ist, weil sie humanistisch ist.
Danke für den Hinweis und den Beitrag.
Tatsächlich stimmt es. Die Fülle der religionen und religiösen Erzählungen und Narrative ist natürlich um vieles größer und weiter als der Monotheismus glauben lässt. Eine intensive Auseinandersetzung mit diversen Polytheismen wäre sicher interessant!
Ich versuche Texte zu schreiben, die in der Länge noch übersichtlich bleiben (nicht jeder Homepage-Beitrag kann sich zehn oder mehr Seiten Zeit nehmen), und das bedeutet, Aspekte heraus zu arbeiten.
In diesem Text war der Aspekt der Absolutheitsanspruch Gottes, bzw. von Religionen die behaupten ihre Mehrzahl an Göttern sei das Absolute. Atheistisch waren schließlich durchaus auch jene, die in (gewissen) polytheistischen Systemen das “Falsche” geglaubt haben. …
Worum es mir gegangen ist: Wir in der ARG bekennen uns zu einem Verhältnis zu den Göttern, in dem wir nicht von der Absoluten Welt real existierender Götter unsere Erkenntnis schöpfen können, sondern wo wir uns bewusst sind, dass diese Götterwelt von uns erschaffen, also relativ zu uns ist.
Diese Betrachtung kann Angst einflößen, besonders gegenüber der “Geborgenheit” und dem “Trost” die es bieten könnte, sich am Absoluten glaubend anlehnen zu können. …
Zum Satz “Soziale Realität ist nicht naturwissenschaftliche Realität².” möchte ich anmerken, dass “naturwissenschaftliche Realität” meines Erachtens durchaus (auch) eine “soziale Realität” ist, insofern sie gewissermaßen immer (auch) in sozialen – und sozial mitgestalteten – Prozessen “fabriziert” wird. Eine interessante Einstiegslektüre dazu ist z.B. “Die Fabrikation von Erkenntnis” (1991) von Karin Knorr-Cetina.
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“Der Verlust des Absoluten macht alles relativ.“ Dieser Satz stimmt so nicht, da nämlich die Aussage, dass der Verlust des Absoluten alles relativ macht, selbst absolut ist.
Einen absoluten Gott kann sich der Mensch sich eigentlich gar nicht vorstellen, da ja diese Vorstellung von einem absoluten Gott nur durch die Distanz von diesem funktioniert. Absolutheit untergräbt jegliche Art von Freiheit, auch die Freiheit des Denkens. Der Mensch erfährt sich als (teilweise) freies Wesen, im Denken und im Handeln, wie etwa in der Partner-, Berufswahl etc. Das wäre bei einem absoluten Gott nicht möglich. Die Tatsache, dass wir diese Freiheit als solche wahrnehmen, ist ein Beweis dafür, dass es keinen absoluten Gott geben kann. Jedoch absolut ist eben diese Erkenntnis selbst.
Wie Du sagst, relativ ist nicht beliebig. Die sogenannte soziale Realität basiert auf Grundsätzen, die das Leben in der sozialen Gruppe ermöglichen. Kants kategorischer Imperativ ist m.E. immer noch aktuell: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. (AA IV, 429). Er ist gegen die reine Instrumentalisierung von Menschen, wie er etwa in der Sklaverei bzw. im Dritten Reich total verletzt wurde. Aber auch heute gibt es viele Verletzungen. Wir können fragen, inwieweit etwa Angestellte in einer Firma instrumentalisiert werden, wo etwa deren physische und psychische Gesundheit leidet. Der Mensch darf nicht dem Unternehmen untergeordnet werden. Derartige Grundsätze würde ich nicht als bloß relativ abtun, sondern sind vernunftethisch geleitet.
Daher führt m.E. die notwendige Aufgabe des Absoluten nicht zu einem Relativismus, sondern zu sozialethischen Grundsätzen, die den Menschen als Individuum im sozialen Gefüge anerkennen. Eine institutionalisierte Religion könnte hier einen Raum schaffen, wo Menschen sich mit anderen über sich selbst nachdenken und austauschen, wo sie ihre Funktionalisierung innerhalb der Gesellschaft thematisieren (z.B. in ihrer Rolle als Arbeitnehmer, Bürger, Patient, Steuerzahler, Familienmitglied) und sich dadurch als Individuum trotz gesellschaftlicher Zwänge erfahren können. Institutionalisierte Religion wäre also der Ort, wo nicht ein neuer Zwang (Gottesdienst) vorherrscht, sondern der Mensch sich als Individuum in Freiheit gestalten kann. Hier sähe ich auch eine wichtige Aufgabe und Chance für eine ARG (wobei das reaktionäre A ersetzt gehört).