Robert Pfaller plädiert in seinem 2011 erschienenen Buch “Wofür es sich zu leben lohnt – Elemente materialistischer Philosophie” dafür, dass wir Menschen nicht von Innen heraus zum Genuss streben, oder gar zu ihm fähig sind. Er argumentiert, dass es gesellschaftliche Instanzen dazu braucht. Ich versuche die Idee Pfallers wie einen Aufruf zur Gründung der Atheistischen Religionsgesellschaft zu interpretieren.
Entgegen der Annahme, der Mensch wäre ein lustgetriebenes Wesen und die Gesellschaft zähme und hemme ihn, vertritt Pfaller die Position, dass der Mensch im Großen und Ganzen ein ökonomisches, sparsames Wesen ist, das von außer ermutigt werden muss, über die Stränge zu schlagen.
Die rauschendsten und rauschigsten Feste werden aus Anlässen gefeiert, in denen es der Anstand (die Gesellschaft) gebietet, es krachen zu lassen. Tränke jemand allein zu Hause gleich viel wie auf der Hochzeit einer Freundin, es wäre wohl nur traurig. Gelänge es jemandem niemals, die Vernunft hintanzuhalten und unter Verausgabung von Geld und Gesundheit über die Stränge zu schlagen, es wäre auf Dauer traurige Monotonie.
Der Individualismus, die Aufforderung, sich bloß von niemandem sagen zu lassen, was man tun solle, wird daher scharf kritisiert. Es geht darum, die richtige symbolische Ordnung zu schaffen, der man sich dann unterwerfen kann. Es geht darum, im Großen und Ganzen vernünftig zu leben, und sich dafür Momente schaffen zu können, in denen man sich Exzess leisten kann.
Pfaller verwendet dazu ein Instrument, das er als “Verdoppelung der Tugenden” bezeichnet. Ein vernünftiger Umgang mit der eigenen Vernunft beinhaltet, dass man sich ab und zu unvernünftig verhalten darf. Wer sich der Mäßigung verschreibt, sollte aufpassen, dass er in der Mäßigung nicht maßlos wird.
Eine der ewigen Fragen der Philosophie ist die nach dem richtigen Maß. In der jüngeren Zeit lässt sich beobachten, dass Grautöne zunehmend abhanden kommen. Die totalitäre Tendenz zur einseitigen Maximierung soll dadurch gebrochen werden.
Für Pfaller ist das Ungute Element von Praxen oder Dingen sogar das, was sie letztendlich überhaupt erst dazu befähigt geheiligt zu werden. Was ganz alltagskompatibel (ökonomisch, gesundheitlich, hygienisch, ästhetisch einwandfrei) ist, eignet sich nicht dazu, besondere Momente zu markieren; Wenn ich jeden Tag Mineralwasser trinke, kann ich meinen Geburtstag dadurch nicht auszeichnen, dass Mineralwasser getrunken wird.
Das Feiern bedarf daher der Verausgabung: Großzügigkeit (Verschwendung), Rausch (Kontrollverlust, evtl. gesundheitsschädigend), und inszeniertes (rituelles) Verhalten (Ich-Fremd) sind einige der Elemente mit denen besondere Anlässe gefeiert werden können. Dadurch erheben sich die Feiernden über die Alltagsökonomie, über das “Überleben” hinaus zum Leben. Sie heiligen den Augenblick durch Opfer und bereichern ihr Leben um dieses Heilige. (Aufgrund des Unguten Aspekts: Schmutziges Heiliges)
Insgesamt kommen in dieser Betrachtung einige Interessante Dinge zusammen: Der Aufruf, sich nicht der Gesellschaft zu entziehen, die Betrachtung, dass das Heilige von Menschen gemacht wird und ein grundlegend gegenläufiger Zugang zum Genuss-Zugang in der westlichen Kultur des frühen 21. Jahrhunderts.
Je nach Interpretation ist dieses Werk geradezu eine Aufforderung, so etwas wie die ARG zu gründen (von der er zum Erscheinen des Buches noch nichts wusste)