Fragen von Schülerinnen


Kürzlich wurde ich von Schülerinnen kontaktiert, die in der Schule über die Religionen der Welt lernen. Ihr Auftrag war, sich an eine Organisation zu wenden, und gewisse Fragen zu stellen. Lynn, Célina und Malina haben den Atheismus ausgewählt und ihre Fragen an uns gestellt. Vielleicht sind die Antworten dazu auch für das Publikum unserer Homepage interessant. Wir freuen uns über Kommentare.

Atheismus

1.  Gibt es bestimmt Rituale oder Bräuche ?

Nein. Wir haben niemanden, der uns einheitliche Vorgaben macht (kein Gott…) und deswegen geben wir auch keine einheitlichen Vorgaben weiter. Unbestimmte Rituale und Bräuche gibt es sehr wohl. Für mich persönlich ist der Jahreskreis recht wichtig – Das Wechselspiel der Jahreszeiten und Tageslängen. Ich bin offen für das, was verschiedene Kulturen für Bräuche hervorbringen, überlege mir, ob und wie das in eine atheistische Erzählung passen könnte, und übernehme was mir gefällt.

Im Alltäglichen versuche ich, vor dem Essen tief Luft zu holen, und mich vom Alltag auf die Mahlzeit innerlich einzustellen. Ein Tischgebet zu mir selbst sozusagen. Am Abend des Tages überlege ich mir, was besonders schön war, und was ich gerne nächstes Mal anders machen würde.

*Anmerkung: Das betrifft den Atheismus im Allgemeinen, und im Persönlichen. Dazwischen, in der Form der Atheistischen Religionsgesellschaft gibt es mindestens ein formelles Ritual: Es ist das Beitrittsritual. Durch eine formelle und feierliche Unterschriftsleistung handelt das Neumitglied in Hinblick auf seine religiöse Überzeugung und macht aus seinem Wunsch, Mitglied zu werden, durch seine Unterschriftsleistung Realität. Als Gemeinschaft von Individuen will die ARG bewusst wenig vorschreiben, und der Individualität der Mitglieder auch im Bereich Ritual und Brauch lieber Anregungen als Vorschriften geben.

2.  Sind Sie mit allen Regeln oder Sagen einverstanden und unterstützen sie ?

Diese Frage ist etwas zu Allgemein. Welche Regeln und Sagen sind gemeint? Grundsätzlich und allgemein glauben wir, dass die Welt sich verändert und deswegen immer neue Fragen an uns Menschen stellt. Deswegen können wir nicht auf jede Frage mit den alten Antworten reagieren (Klimawandel war vor 80 Jahren noch kein Thema …) Andrerseits gibt es Dinge in der Menschlichen Beschaffenheit, die sich eher gleich bleiben, dort kann man von alten Texten viel lernen. Alte Texte können uns auch erzählen, wo wir herkommen. Warum gewisse Dinge so überliefert sind, wie sie es sind. Sie können uns helfen, uns selbst zu verstehen… Ich denke zum Beispiel an die Verstrickungen, die sich in der Ilias oder im Nibelungenlied aus der Blutrache ergeben. Ja, das hat es früher gegeben. Die Geschichten zeigen, wie viel Blut dabei verschüttet wird, und zeigt, dass ein moderner Justizvollzug viele Vorteile hat.

3.   Wie oft gehen Sie in eine Predigerkirche ?

Ich war einmal auf einer Reise durch die Schweiz in der Predigerkirche in Zürich zu Besuch. Ansonsten ist es bei uns sehr katholisch.

4.   Wie geht ihr mit Menschen um die einen anderen Glauben haben ?

Grundsätzlich offen, es hängt davon ab, worin sich die Glaubenssätze unterscheiden. Wer Demokratie und Menschenrechte ablehnt, ist mein Gegner. Ich werde versuchen ihn zu überzeugen. Wer zum Beispiel an Gott glaubt, aber ansonsten für ein friedliches Miteinander unterschiedlicher Vorstellungen steht, ist ein Dialogpartner.

5.   Habt ihr bestimmte Vorgaben was sie essen dürfen oder nicht ?

Keine vorgegebenen. Wir respektieren Vegetarismus und Veganismus als Ritus, den Menschen aus ethischen Überlegungen für sich selbst wählen. Wir erkennen diese ethische Entscheidung an, und bemühen uns, sie als Gemeinschaft zu unterstützen. Ich selbst bemühe mich, Fleischkonsum zu reduzieren und möglichst biologisch zu ernähren. – Ich bin allerdings selbst Mensch und kein Heiliger.

6.   Gibt es bestimmte Kleider die man trägt ?

Als ARG haben wir keine Kleidervorschriften. Ich persönlich habe das ein oder andere Accessoire, das ich für besondere Anlässe gerne dabei habe. Zum Beispiel ein geschnitzter Haselnuss-Stecken. Aber das ist persönliche Vorliebe. Ich denke, es ist schön, wenn man ein Kleidungsstück hat, das man einfach zu besonderen Anlässen anzieht. Nach dem Motto „Kleider machen Leute“ – Kleider machen Anlässe …

7.   Was glauben Sie wie es nach dem Tod weitergeht ?

Ich glaube, von mir bleibt die Erinnerung. Und die Konsequenzen meiner Taten. Der Baum, den ich pflanze, die Ideen, über die ich mit jemandem geredet habe … Diese Spuren bleiben, ich weiß nicht, ob das die „Seele“ ist. Aber von mir selbst, als jemand, der mit seinen Augen die Welt betrachtet, mit seinem Geist versucht, sie zu verstehen, und mit seinen Händen in ihr handelt. Ich glaube, das ist dann aus. Und dann spüre ich kein Drängen und kein Leid. Keinen Hunger und keinen Durst. Es ist dann einfach vorbei. Ich glaube an ein Leben vor dem Tod.

8.   Gibt es in Ihrem Glauben einen Gott oder Götter ?

Wir Menschen als Gemeinschaft haben es in der Hand, Dingen besondere Bedeutung zuzumessen. Das können Gegenstände oder Orte sein. Aber auch Ideen, bestimmte Handlungen. Ich glaube, dass Götter etwas in der Art sind. Zum Beispiel wir finden Gerechtigkeit wichtig. Und alles, was wir tun, um gerecht zu handeln, ist ein Opfer an die Göttin der Gerechtigkeit. Also wenn wir zum Beispiel das Jausenbrot genau in der Hälfte teilen, statt uns selbst den größeren Teil zu geben. Dann opfern wir etwas, und dadurch wird die Gerechtigkeit ein bisschen stärker in der Welt. Unser Denken und Handeln beeinflusst die Welt.
Aber ich glaube nicht an Götter, die es ohne uns Menschen gibt. Da gibt es die Natur, aber die würde ich nicht als Gottheit bezeichnen.

9.   Glauben Sie an Fabelwesen oder unsichtbare Gestalten ?

Ja und nein. Ich denke, es verhält sich damit so wie bei der Frage nach den Göttern. Ideen können herum spuken. Ideen können Jahrhunderte überdauern, in einem alten Buch und zum Leben erwachen, wenn es gelesen wird. Das wäre die Vorstellung von „Geist“, die ich habe. Aber an Kobolde, Elfen und Dämonen im Sinn von Wesen, die eigenmächtig in der Welt herumstreifen glaube ich nicht.

10.  Gibt es ein Buch über den Atheismus ? wenn ja wie heisst es?

Mein eigenes muss ich noch schreiben. Aber ja, es gibt zahlreiche. Ich glaube es gibt auch nicht nur „den Atheismus“ sondern viele atheistische Anschauungen. Man muss sich nur anschauen, wie viele christliche Gelehrte von anderen als gottlos bezeichnet wurden, weil sie nicht die genau richtige Glaubenslehre hatten. „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins ist ein recht verbreitetes Buch, das sehr kritisch mit dem Gottesglauben und der Religion ins Gericht geht. Es ist kein heiliges Buch für uns, es hat genauso seine Fehler, aber es wirft viele interessante Fragen auf. Für mich persönlich spannend war das Buch: „Wofür es sich zu leben lohnt“ von Robert Pfaller. Und für die Idee einer atheistischen Religion inspirierend finde ich „Religion für Atheisten“ von Alain de Botton. Es gibt noch „Woran glaubt ein Atheist“ von Andre Comte-Sponville, der überhaupt auch ein interessanter Denker zu sein scheint. Nachdem ich auch dazu neige, dem Pantheismus zuzugestehen eine Form des Atheismus zu sein, würde ich auch Carl Sagan zu den Atheisten in unserem Verständnis zählen (oder uns zu ihm …) auch wenn er das selbst vielleicht nicht so explizit gesagt hätte. Carl Sagan hat eine sehr tolle TV-Serie gemacht „Cosmos- a personal voyage“ … Die müsste auch auf youtube zu finden sein. Ist schon etwas älter, und man siehts ihr an (1980) aber wunderschöne Musik, wunderschöne Erzählung auf der Höhe der damaligen Wissenschaft. Meine wärmste Empfehlung. Pantheismus ist, wenn man die Natur selbst zur Gottheit macht, also wenn man sagt, Gott und die Welt, das ist das Gleiche. Alles was in der Welt ist, ist Teil von Gott. Da ist Gott dann nix eigenes mehr, und der Begriff hebt sich meines Erachtens ein wenig auf. Es bleibt dann einfach die Verehrung der Natur und ihrer Facetten.

12.  Gibt es bestimmte Traditionen bei einer Hochzeit ?

Wie gesagt, keine bestimmten. Was einem gefällt, soll man übernehmen. Musik, und Reden der Familie. Spaß soll man haben. Ich würde mich gerne auch als Redner anbieten.

13.  Wie ist ihre Sicht für  LTBGQ ?

Leben und leben lassen. Es ist vollkommen normal. Mir ist nicht verständlich, worin man da ein Problem sehen sollte.

14. Glauben Sie an die Wiedergeburt ?

Nein

15. Wie kann man den Atheismus unterstützen?

In Österreich kann man, wenn man will, Mitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft werden. Dadurch können wir gemeinschaftlich an Lebensfragen arbeiten, und unsere Sichtweise auch in der Gesamtgesellschaft besser vertreten. Man kann natürlich auch Geld spenden, das uns hilft, verschiedene Veranstaltungen durchzuführen. Derzeit haben wir ein Verwaltungsverfahren laufen –es geht um die Eintragung und Anerkennung von Staatsseite her. Das kostet zum Beispiel Geld. Aber auch wenn wir bei Veranstaltungen Räume mieten wollen, oder sowas.

Ansonsten würde ich sagen, man kann sich selbst mit Wissenschaft und Philosophie und mit Demokratie auseinander setzen, und sich selbst fragen, was man zu einem gelungenen Leben und miteinander beitragen kann. Wenn man dann drauf kommt, dass Atheismus ein guter Zugang ist, wird man die nächsten Schritte entdecken. …

16. Die Atheisten sind sich ganz sicher, dass es keinen Gott gibt?

Ich spreche jetzt für mich: Nein. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich nach meinem eigenen besten Wissen und Gewissen nach Erkenntnis über die strebe. Dass ich das, was ich dabei für richtig erachte zur Grundlage meines Handelns mache, und versuche das Richtige zu tun.
Alle Regeln und Bücher, die sich auf Gott berufen, sind von Menschen gemacht. Ich würde also nicht Gott glauben, sondern den Menschen, die von ihm reden. Wenn Gott sich mir unmittelbar offenbart, würde das interessante Fragen aufwerfen. Das hat Gott aber nicht getan, und so gestalte ich mein Leben so, wie es mir richtig scheint. Ein guter Gott wird – falls es ihn gibt – das verstehen. Ein Gott, der das nicht versteht ist kein guter Gott, und dem möchte ich nicht dienen, den möchte ich nicht verehren.

17. Warum wollen Atheisten den christlichen Gott abstreiten?

Welchen christlichen Gott? Den von Calvin, den von Zwingli, den von Luther, den von Augustinus, den von Karel Wojtila oder den der Befreiungstheologie? Es gibt so viele unterschiedliche Deutungen des christlichen Gottes, die sich jeweils gegenseitig abstreiten und bestreiten, dass es der Normalzustand zu sein scheint, dass man diesen Gott nicht einfach akzeptiert. Es sind letztlich immer menschliche Interpretationen.

Ich tu mir schwer damit, etwas glauben zu müssen, nur weil früher jemand gesagt hat, dass es so ist, und man darf das nicht überprüfen.

18. Wie glauben Sie, ist die Welt entstanden?

Es gibt eine Theorie, die wissenschaftlich einigermaßen erhärtet ist. Von einem Urknall als „Singularität“. Was davor war, weiß man nicht, wie es sich genau zugetragen hat auch nicht. Deswegen äußere ich mich dazu auch nicht. Die Geschichte danach ist zunehmend beforscht. In Sternen hat sich Materie verdichtet und Fusioniert. In Supernovae (Sternenexplosionen) haben sich die schwereren Elemente gebildet. Aus dem Staub solcher Explosionen ist unser Sonnensystem entstanden und unser Planet. Auf diesem Planeten hat organische Chemie angefangen selbst-replizierende Säuren zu bilden. Und durch ein laaaaaanges Trial-And-Error Verfahren haben sich verschiedene Spezies heraus gebildet. Darunter der Mensch. Der Mensch beobachtet die Welt um sich herum. Versucht zu überleben. Versucht zu verstehen. Versucht der nächsten Generation zu erklären, damit sie noch mehr verstehen können. Wir sind die derzeit jüngste oder zweitjüngste Generation von Menschen auf der Welt.

19. Was muss man tun bei Fehlern?

Erkennen was ein Fehler war. Eingestehen, dass es ein Fehler war. Überlegen, ob er sich berichtigen lässt, und wie man ihn berichtigen kann. Gegebenenfalls berichtigen!


Über Eosphoros

Die Frage des Atheismus ist nicht: Gibt es einen Gott, sondern vielmehr: Wenn es keinen Gott gibt, wie geht dann das Leben? Kann man auch beten, ohne zu jemandem zu beten? Kann man auch sterben ohne weiterzuleben? Und wenn ja, wie? Es ist eine häufig ungedankte Aufgabe, Menschen ihrer Illusionen zu berauben. Der Wille zur Wahrheit und der Wille zur Verantwortung sind anstrengend, Illusionen oft der einfachere Weg. Nicht umsonst wurde der Lichtbringer Prometheus an einen Felsen gekettet und gefoltert, der Engel Lucifer in die Hölle (oder auch auf die Erde?) verbannt. Tja, aber da sind die Menschen nun. Keine Menschen im Olymp, und kein lebendiger Mensch im Paradies. Das beste was die Menschen hoffen können, ist es sich einigermaßen gut einzurichten. Dazu bedarf es der Weisheit, einer Eigenschaft beziehungsweise Fertigkeit die nur all zu oft mit "Wissen" verwechselt wird. Wissenschaft und Rationalität, es tut mir leid, das sagen zu müssen, sind noch nicht das Ende zur Fahnenstange. Sie dienen dem guten Leben, aber nur, wenn sie richtig eingesetzt werden. In diesem Sinne bemühe ich mich um eine Atheistische Religionsgesellschaft, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis, verknüpft mit kultureller Erfahrung, politischen Betrachtungen, Philosophischen Überlegungen und möglicherweise tradiierter Mythen.

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