Die “heilige” Blasphemie


Immer wieder wird Blasphemie aus der Meinungsfreiheit ausgenommen. Selbst Länder, die sich prinzipiell zur Meinungsfreiheit bekennen, haben meist Paragraphen gegen eine „Herabwürdigung religiöser Lehren“.

Interessant dabei ist, dass ja jede Religion, die von sich behauptet, „die“ (einzige) wahre Religion zu sein, damit eigentlich alle anderen als nicht-wahr herabwürdigt. Aber gut, lassen wir fünfe gerade sein und beziehen es auf Verhetzung. Dann sollte ein solcher Paragraph jedenfalls einschränken: Wie verhetzend wirkt die Herabwürdigung? Enthält die Herabwürdigung einen Kern von Hass? Vielleicht auch: Wie viel Macht bzw. Einfluss, welche Medien hat die betreffende Person tatsächlich zur Verfügung – liegt wirklich Verhetzung vor?

Wenn eine Kirche behauptet, mein Lebenswandel wäre Sünde, meine Werte „gottlos“, dann kann ich das von mir weisen, ich kann mich darüber ärgern, oder ich kann sagen „Selber!“ – aber ich muss es wohl akzeptieren, unter der Regel der Meinungsäußerungsfreiheit.

Umgekehrt aber möchte ich auch, dass es mir möglich ist, eine Lehre einer Kirchen zu entlarven, wo es mir richtig scheint. Blasphemie hat für viele Atheisten eine ganz wichtige Funktion: Sie ist ein Ventil, das aus einer religiösen Erziehung und einer gesellschaftlichen Norm etwas Druck ablässt. Sie hilft, sich gegenüber fremd gewordenen, aufgedrückten Vorstellungen zu befreien. Gerade die Kraft des Verbotenen (vgl. Kraftwörter) hilft, sich von dem zu distanzieren, was man unfreiwillig mit sich herumschleppt. Eine solche individuelle Befreiung muss nicht immer reibungsfrei sein. Sehr oft geht eine existenzielle Krise mit dieser Entwicklung einher.

Die Herkunftsreligionen sehen in dieser Krise oft die Chance zur Umkehr. Wir sehen in dieser Krise den Kokon einer neuen Weltbetrachtung. Sollen dann aber gerade solche religiöse Traditionen, die ihrerseits Anders- und Un-Gläubige als „verirrt“, „unwissend“ und vieles mehr bezeichnen, wirklich besonders geschützt werden, wenn der Spieß einmal umgedreht wird?

Es geht nicht um Hetze gegen religiöse Lehren und ihre Anhänger. Es geht darum, etwas der Lächerlichkeit preisgeben zu dürfen, was in seiner Nacktheit lächerlich wirkt. Es geht darum, individuell auch ein Missfallen gegenüber bestimmten religiösen Dogmen zum Ausdruck bringen zu dürfen, mit Humor und mit Biss.

Wenn wir alle (Christen, Atheisten, …) als Gesellschaft nicht fähig sind, uns gegenseitig ein gewisses Recht auf Blasphemie einzuräumen, dann sind wir in unserer Entwicklung irgendwie stecken geblieben.


Über Eosphoros

Die Frage des Atheismus ist nicht: Gibt es einen Gott, sondern vielmehr: Wenn es keinen Gott gibt, wie geht dann das Leben? Kann man auch beten, ohne zu jemandem zu beten? Kann man auch sterben ohne weiterzuleben? Und wenn ja, wie? Es ist eine häufig ungedankte Aufgabe, Menschen ihrer Illusionen zu berauben. Der Wille zur Wahrheit und der Wille zur Verantwortung sind anstrengend, Illusionen oft der einfachere Weg. Nicht umsonst wurde der Lichtbringer Prometheus an einen Felsen gekettet und gefoltert, der Engel Lucifer in die Hölle (oder auch auf die Erde?) verbannt. Tja, aber da sind die Menschen nun. Keine Menschen im Olymp, und kein lebendiger Mensch im Paradies. Das beste was die Menschen hoffen können, ist es sich einigermaßen gut einzurichten. Dazu bedarf es der Weisheit, einer Eigenschaft beziehungsweise Fertigkeit die nur all zu oft mit "Wissen" verwechselt wird. Wissenschaft und Rationalität, es tut mir leid, das sagen zu müssen, sind noch nicht das Ende zur Fahnenstange. Sie dienen dem guten Leben, aber nur, wenn sie richtig eingesetzt werden. In diesem Sinne bemühe ich mich um eine Atheistische Religionsgesellschaft, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis, verknüpft mit kultureller Erfahrung, politischen Betrachtungen, Philosophischen Überlegungen und möglicherweise tradiierter Mythen.

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