O Tannenbaum


Weit von draußen komm ich her, ich kann Euch sagen: Es weihnachtet sehr!

Natürlich wissen wir, dass Jesus Christus jedenfalls nicht am 25.12. geboren ist, falls er denn jemals überhaupt historisch belegt werden kann. Auch das Jahr stimmt nicht: das Jahr 4 bis 6 „vor Christi Geburt“ (v. Chr.) wird allgemein als sein Geburtsjahr angenommen. Wenn Jesus also jemals ein realer Mensch war, wie unsere christlichen, aber auch unsere muslimischen Freund:innen glauben, hat er also nicht nur nach seinem Tod gelebt – nein, auch schon Jahre vor seiner Geburt! Magic!

Aber lassen wir den Christ:innen ihr großes Fest anlässlich der Geburt Jesu, obwohl sie es in Wahrheit von „Heiden“ gemopst haben: Denn in der Tat war im antiken Rom – wie auch vielen anderen Kulturen weltweit – der kürzeste Tag des Jahres bereits ein Feiertag und einer Gottheit geweiht: Sol invictus, dem unbesiegten bzw. unbesiegbaren Sonnengott. Denn klarerweise wollen Menschen auf ihre gewohnten Feste nicht verzichten, wenn sie konvertieren . . . warum also nicht die gewohnten Feiertage neu interpretieren? Vielleicht können wir uns da eine Scheibe abschneiden?

Man wusste bereits in der Antike, dass die Erde eine Kugel ist (aber das hat man bei einer Sommersonnenwende festgestellt), wenn man auch nicht so recht erklären konnte, wie denn die andere Seite beschaffen sein könnte. Wieso aber die Tage immer kürzer wurden, um dann wieder länger zu werden, das wusste man aber noch lange nicht. Bestimmt waren da irgendwelche Götter im Spiel . . .

Schließlich gab es ja auch immer wieder „Jahre ohne Sommer“, wie z.B. 535 oder 1816 . . . Wobei wir im Fall von 1816 immerhin recht sicher wissen, dass der Hauptfaktor der Ausbruch des Tambora 1815 war.

Das ist doch eine schöne „Weihnachtsgeschichte“ für Kinder: Zu erklären, warum es Jahreszeiten gibt, dass es jetzt wieder heller und wärmer wird – zumindest hierzulande. Zur Unterstützung hier ein ganz nettes Video.

Dass der 25. Dezember heute nicht mehr ganz der kürzeste Tag ist, liegt daran, dass der Julianische Kalender noch nicht 100% exakt war. Und bei der Korrektur unter Papst Gregor XIII. hat man das nicht vollständig ausgeglichen, sodass das Weihnachtsfest nun nicht mehr ganz mit der Wintersonnenwende zusammenfällt.

Wintersonnenwenden in Japan, Chile, Neuseeland

Ursprünglich feierte man also im Winter, dass jetzt wieder mehr Sonne kommt, mehr Licht, mehr Wärme. Wer wollte das nicht feiern? In Japan feiert man zum Beispiel das Feuerlauf-Fest „Hiwatari Matsuri“ zur Wintersonnenwende.

Übrigens feiert man auf der Südhalbkugel – wenn man nur weit genug im Süden wohnt – auch die Wintersonnenwende – nur eben im Juni: Die Mapuche z.B., die in Chile und im südwestlichen Argentinien leben, feiern ihre Wintersonnenwende als „We Tripantu“ und beginnen damit das Jahr.

Die Maori koppeln das Wintersonnwendfest und zugleich Neujahrsfest mit den Mondzyklen – ganz ähnlich wie bei uns Ostern: Beim ersten Neumond nach dem Aufgang der Plejaden feiern sie ihr „Neujahr“. Eine sehr auffällige Sterngruppe, über die praktisch alle Kulturen der Menschheit Geschichten erzählt haben, die ganze Bücher füllen. Hier ein sehr inspirierendes Video, was die Maori in Neuseeland bei ihrem „Mataraki“ feiern – mit ihrem erweiterten Begriff von „Familie“.

Eigentlich könnten wir mit diesen Südsee-Weihnachtsgedanken die Geschichte abschließen – allerdings wäre ein guter Grund für das Feiern beim Nadelbaum mit Kerzenschein doch auch für uns Atheist:innen fein, oder?

Das „Tannenbaumfest“

Nun ja. Sollte Jesus gelebt haben, so dürfte er jedenfalls nichts von „Weihnachtsbäumen“ gewusst haben – und eigentlich sollte es ja ein Apfelbaum sein, um die Verbannung aus dem Paradies darzustellen, aber viele Kulturen sahen schon immer in immergrünen Zweigen eine schützende oder stärkende Kraft. Also so richtig „christlich“ ist auch das nicht.

Auch hier wissen wir heute mehr: Die ersten „Koniferen“ („Zapfenträger“), also Nadelbäume, traten vor etwa 270 Millionen Jahren auf der Erde auf. Wenn man die 13,8 Milliarden Jahre, die unser Kosmos schon besteht, auf nur ein Jahr komprimiert, dann kommt man da ziemlich genau auf den 24.12., an dem die Nadelbäume erstmalig auftraten. Lange vor den Laubbäumen, die erst viel später entstanden sind.
Unverändert sind die meisten Bäume auf der Erde Nadelbäume. Logischerweise waren auch die meisten Bäume im Laufe der Erdgeschichte Nadelbäume.
Auch der aktuell älteste lebende Baum ist ein Nadelbaum: Old Tjikko
Der Voluminöseste: General Sherman Tree
Der mit dem dicksten Stamm: Árbol de Tule
Und der höchste Baum: Hyperion
Ganz aktuell könnte „Bruder Baum“ ein ganz starker Verbündeter in der Klimakrise sein, um CO2 aus der Atmosphäre zu binden.
Und repräsentiert die Verästelung eines Baumes nicht auch wunderbar die Evolution, die es von der ersten RNA bis hierher, bis zu uns, „geschafft“ hat?

Es muss einem also keineswegs peinlich sein, sich um einen feierlich geschmückten Baum zu versammeln und ihn zu besingen: O Tannenbaum!

Richtig geschmückt!

Denn auch der gewählte Schmuck kann unterschiedlich interpretiert werden: Symbolisieren die Kugeln die „verbotenen Früchte“ oder vielleicht eher Sonnen, Monde und Planeten? Oder ist etwa der Stern ganz oben ein Symbol für unseren Stern, genannt die Sonne, die seit über 4 Milliarden Jahren durch ihre Strahlen unser Leben ermöglicht hat? Unser „Sol invictus“?

Keineswegs sollte man allerdings auf eine blaue Kugel verzichten! Denn es war genau der 24.12.1968, als auf der Apollo 8-Mission etwas Unvorhergesehenes passierte: Die Astronauten hielten sich nicht an den vorgegebenen Plan, denn sie waren zu ergriffen von dem, was sie sahen. Sie umrundeten als erste Menschen den Mond – und die „dunkle Seite des Mondes“ ist insofern „dunkel“, als man unseren Planeten von dort aus nicht sieht. Irgendwo steht die Sonne, aber der Rest der Szenerie ist dunkles, kaltes Weltall – „unterhalb“ sieht man die kahle Mondoberfläche. Und dann kommt der „blaue Planet“ wieder in Sicht. Wenn man den Arm ausstreckt, kann man die gesamte Erde mit dem Daumen abdecken. Den Astronauten fiel nicht spontan jene wunderbare Rede ein, die Carl Sagan anlässlich des „Blue Pale Dot“ verfasst hat. Doch sie zückten die Kamera und machten dieses ungeplante Bild (man kann sich sogar den Original-Dialog in der Raumkapsel anhören!). Besatzungsmitglied Jim Lovell sagte später: „Wir flogen zum Mond und entdeckten die Erde.“ Wortreicher erklärt Neil DeGrasse Tyson, wie dieses Bild bewirkt hat, dass die Menschheit erstmals ihre globale Verantwortung erkannt hat. Eine blaue Kugel am Baum könnte daran erinnern.

Möglicherweise startet nun ausgerechnet am 24.12.2021 – nach unzähligen, jahrelangen Verschiebungen – tatsächlich das James Webb Teleskop auf seine Reise zum kalten Lagrange-Punkt, um dort mittels Infrarot-Licht noch weiter in die Vergangenheit zu blicken, als uns das bisher möglich war. Man hofft, dem Urknall bis auf 100 Millionen Jahre nahe zu kommen und die allerersten Sterne detektieren zu können. Und: Hinweise auf mögliches Leben auf Exoplaneten einfangen zu können.
Es bleibt spannend!

Dinos am Tannenbaum?

Viel für den Kopf, aber vielleicht macht es Kinder es einfach Spaß, einen oder sogar mehrere Dinosaurier auf den Weihnachtsbaum zu hängen. Nach der Logik des „Kosmischen Kalenders“ darf ab dem 25.12. ein Dinosaurier auf den Baum gehängt werden – und am 30.12. morgens muss man ihn wieder abnehmen. Denn dann räumte „der Asteroid“ die Bahn frei für die Evolution von uns Säugetieren: Wale, Giraffen, Katzen und auch Affen!

Hoffentlich waren einige Anregungen dabei, damit Ihr individuell überlegt, wessen man aus atheistischer Sicht im 21. Jahrhundert bei einer besinnlichen Familienfeier gedenken könnte: Woher wir kommen, was wir bereits verstanden haben, was da noch kommt und wie es – durch die Kinder – in Zukunft weiter gehen wird, wie die Maori es seit jeher machen.

Mopsen wir uns unsere Wintersonnenwende wieder zurück!

In diesem Sinne wünschen wir Euch ein friedlich-freudiges, besinnliches Fest!

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