Auf recht verschiedene Weise haben mir christliche Theologen die Abkehr vom Christentum erleichtert. Einer durch sehr großes Verständnis für meine Probleme mit der Theodizee. Genau genommen waren seine eigenen Überlegungen dazu noch radikaler als die meinigen, und das hat mich damals sehr bestärkt. Ein anderer schlicht durch seine barsche Antwort. Und mehrere durch ihr offenbar völliges Unverständnis und ihr hartnäckiges Beharren, ich könne nur im Irrtum sein – da ihre eigene Welt sonst offenbar zusammenbräche. Sehr viele allerdings von denen, die ich damals (in den Jahren 2000 und 2001) angeschrieben habe, haben nicht geantwortet. Aber auch daraus ließ sich etwas ablesen.
Über einiges dieser insgesamt fast unüberschaubaren (weil oft ausufernden) schriftlichen Diskussionen mit katholischen wie evangelischen Theologen, darunter Klerikern, Religionslehrern, Religionsjournalisten, Universtätsprofessoren und -assistenten, möchte ich in dieser Serie berichten. Aufgrund des großen Umfangs an Material wird sie sich über fünf Teile erstrecken.
Ich habe also etliche religiöse Experten, d.h. konkret verschiedene christliche Theologen, um Antworten auf für mich damals wichtige Fragen ersucht. Primär lief es sehr auf das Theodizeeproblem hinaus, es ging in der Folge aber auch um den Respekt vor anderer Meinung überhaupt und um Dialogfähigkeit. Hier ist nur möglich, wenige Auszüge dieser Dialoge wiederzugeben. Zuerst meine Anfrage, die ich Ende 2000 mehrfach verschickt habe (und die ich heute nicht mehr so holprig formulieren würde).
Die Anfrage:
Ich muss leider als erwiesen ansehen, dass der Kern der christlichen Botschaft auf einem Irrtum beruht.
Denn die auf Jesus von Nazareth zurückgehende Bezeichnung des allmächtigen und gerechten Gottes als “liebender Vater” der Menschen scheint mir keinesfalls haltbar.
Die Erwartungen, die an einen liebenden Vater gestellt werden, sind nämlich klar:
a) er redet mit seinen Kindern;
b) wenn er von ihnen etwas Bestimmtes erwartet, sagt er es ihnen so, dass sie es verstehen können;
c) er gibt ihnen Freiheit – aber nur soviel, dass sie sich nicht selbst schaden;
d) er schützt sie im Rahmen seiner Fähigkeiten vor Ungemach, insbesondere wenn sie es selbst nicht bewältigen, und ganz besonders wenn es sie unverschuldet trifft, und er lässt nicht eines seiner Kinder für die Unfolgsamkeit eines anderen büßen.
Wenn auch nur ein einziger dieser 4 Punkte nicht zutrifft, verstößt es ernsthaft gegen die Vorstellung, die man von einem liebenden Vater hat.
Von Gott ist aber das alles nicht hinreichend erkennbar:
a) nur wenige Menschen behaupten, mit Gott reden zu können
b) die angeblichen Botschaften von Gott widersprechen einander
c) die Menschen kommen offensichtlich mit den ihnen offenen Möglichkeiten nicht zurecht
d) viele Menschen erleiden auf vielerlei Weise Not, und viele kommen sogar bei Naturkatastrophen um, an denen menschliche Ursache ausgeschlossen werden kann.
Man mag Gott verschiedene Attribute zuschreiben, aber das Bild vom “liebenden Vater” ist demnach eindeutig fehl am Platz. Mag ihm daran liegen, Menschen in jenseitige Seligkeit zu führen (das kann nicht widerlegt werden) – aber dann sollte man ihn auch dementsprechend benennen. “Liebender Vater” ist eine Bezeichnung, die aus der Alltagssprache kommt, die nach kirchlicher Verkündigung von Jesus auch ganz bewusst in diesem Sinn verwendet wurde und von der wir Menschen daher klare Vorstellungen haben. Daher lässt sich eindeutig beurteilen, dass sie nicht zutrifft, sondern im Gegensatz zur erkennbaren Realität steht.
Da diese Frage seit langem die Menschheit spaltet (70 % der Weltbevölkerung ist die Auffassung, Gott sei wie ein liebender Vater, völlig fremd), sie aber auf so einfache Weise ad acta gelegt werden könnte, sollte man die Menschen darüber auch informieren. Diese Information ist umso notwendiger, als diese irrige Botschaft in unserem Kulturkreis seit vielen Generationen systematisch schon den kleinsten Kindern vorgesagt wird. Auch weil sie offenbar überaus verlockend ist, wirkt sie aber so nachhaltig, dass auch viele, die den Kirchen skeptisch gegenüber stehen, ihre Unwahrheit nicht durchschauen. (…)
Unter dem Anspruch auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit, den die christlichen Kirchen für sich erheben, müsste es eigentlich selbstverständlich sein, derart unzutreffende und irreführende Bezeichnungen zu vermeiden. Ich gebe noch zu bedenken, dass es für die menschliche, insbesondere kindliche Psyche eine Belastung darstellt, wenn ein fundamental wichtiger Begriff wie “Vater” nicht klar differenziert in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet wird: für den konkret erlebten leiblichen Vater und für den angeblich unüberbietbar idealen, aber eben nicht deutlich genug helfenden und fürsorgenden Gott.
Gerade weil die Kirche in den ihr wichtigen Fragen meist auf sprachlich und begrifflich genaue Darstellung und Unterscheidung größten Wert legt, sollte sie es auch in dieser zentralen Frage tun, die ja auf weite Bereiche von Verkündigung, Schulunterricht und Bildung überhaupt größte Auswirkung hat.
Da ich annehme, dass Sie Einwände gegen meine Überlegungen haben, bitte ich Sie, mir diese mitzuteilen – auch im Interesse der religiösen Orientierung meiner Kinder.
Hier die gemeinsame Antwort von fünf Religionslehrern einer AHS:
Wir haben Ihr Schreiben erhalten und bedanken uns für Ihr Interesse an den Inhalten des Religionsunterrichts.
Grundsätzlich halten wir es allerdings für vorteilhaft, Vorbehalte wie die Ihren im persönlichen Gespräch zu klären, z.B. mit dem Religionslehrer Ihres Kindes.
Die biblische Rede von Gott ist immer anthropomorph, wie sonst können Menschen anderen Menschen ihre religiösen Erfahrungen mitteilen? In diesem Sinne wird in der Heiligen Schrift auch davon erzählt, dass Gott mit den Menschen redet und ihnen seine Erwartungen etc. kundtut. Hier decken sich die von Ihnen formulierten Erwartungen an einen liebenden Vater mit der biblischen Rede von Gott, wobei wir Ihrem Ansatz, ein liebender Vater lasse seinen Kindern nur soviel Freiheit, als sie sich nicht selbst schaden, nicht zustimmen können. Ebenso wenig kann ein Vater seine Kinder vor Ungemach, sei es verschuldet oder unbewältigbar oder beides, bewahren. Das Leben geht hier ganz einfach seine eigenen Wege – und wie oft lernen Menschen aus ihren eigenen Fehlern oder leidvollen Erfahrungen immens viel für ihr zukünftiges Leben!
Nachdem jahrhundertelang Menschen unter angstmachenden Gottesbildern (z.B. strafender Richter) gelitten haben, sind wir heute froh, dass das biblische Bild vom liebenden Vater wiederentdeckt wurde. Die Problematik des nicht von Menschen verursachten Leids, die scheinbar in Widerspruch zur Rede von einem menschenfreundlichen Gott steht, wird im Religionsunterricht auf mehreren Schulstufen behandelt, wobei auch die Rätselhaftigkeit Gottes zur Sprache kommt. Wir können Ihnen deshalb nicht zustimmen, wenn Sie meinen, das Bild vom liebenden Vater sei eindeutig fehl am Platz. Dies auch deshalb, da sich für viele Menschen dieses Bild im eigenen Lebensvollzug bewahrheitet.
Christliche Rede von Gott gründet in der Erfahrung all jener Menschen, die Gott als Gegenüber und Ansprechpartner erlebt haben, die auch die Spannung ausgehalten haben, dass Gott oft rätselhaft erscheint. Ein alter Grundsatz christlicher Mystik lautet: Gott ist immer größer.
Wir sehen keinen Anlass für eine Anpassung der Lehrinhalte für das Fach Religion. Für eine solche Anpassung wäre übrigens das erzbischöfliche Amt für Unterricht und Erziehung am Stephansplatz Ihr erster Ansprechpartner; das Bundesministerium hat diesbezüglich keinerlei Kompetenzen.
Mit freundlichen Grüßen – fünf Unterschriften, davon die des katholischen und des evangelischen Fachkoordinators Religion.
Meine Antwort darauf vermochte keine weitere Reaktion mehr hervorzurufen.
Der Ombudsmann für Glaubensfragen der Erzdiözese Wien hielt sich eher kurz:
Sehr geehrter Herr Geyer!
Ihre Meinung teile ich natürlich nicht. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie nicht wirklich Fragen stellen, sondern nur Thesen verkünden wollen. Akademische Diskussionen können endlos geführt werden, ein geistliches Gespräch hätte andere Voraussetzungen (die will aber klarerweise nicht jeder).
Gegen Ihre Argumentation sei nur allgemein angeführt, dass offenbar nicht nur der ein liebender Vater ist, der von seinen Kindern gleich als solcher erkannt wird.
Und speziell aus der spirituellen Erfahrung (obwohl mir klar ist, dass Sie das nicht gelten lassen): Gott ist Gott.
Das Bild des liebenden Vaters kommt sehr nahe an ihn heran, kann ihn aber keinesfalls definieren. Wer an Gott Bedingungen stellt, wie er zu sein hätte, wird ihn so sicher nicht erfahren; wer sich allerdings auf ihn einlässt, kann und wird all das erfahren, was Sie so leichthin abtun.
Aber das ist alles keine Angelegenheit eines locker-“logischen” Geplauders.
Mit freundlichen Grüßen – ooo OOO, Ombudsmann des “DIALOG”
“DIALOG” hieß sinnigerweise eine Zeitschrift der Kirche, die damals monatlich an die Haushalte gratis versandt wurde. Auch hier blieb meine Entgegnung ohne Antwort.
Die von mir artikulierten Fragen waren damals für mich aufwühlend. Für jene, deren Antworten ich soeben zitiert habe, waren sie anscheinend aber inakzeptabel. Ein neutrales und sachlich distanziertes oder gar einfühlsames Eingehen auf meine Fragen kann ich nicht erkennen.
Ob der – nach meinem Empfinden – abwehrende bis feindselige Ton in den Antworten und das nachfolgende Schweigen damit zusammenhängen, dass sich diese Leute selbst existenziell in Frage gestellt empfanden, wird vielleicht im weiteren Verlauf noch klarer.
Bemerkenswert finde ich, dass fünf Religionslehrer gemeinsam wie auch der für Glaubensfragen zuständige priesterliche Theologe nicht merken, dass sie die Allmacht Gottes in ihrer Argumentation übersehen. Und mit “das Leben geht eigene Wege” wurde sogar eher ein Argument gegen den Gottesglauben gebracht als für ihn.
Um Klassen niveauvoller war allerdings jener Brief, den ich im zweiten Teil nächste Woche präsentieren werde.
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Erstens: Die Definition eines Liebenden Vaters und die daraus abgeleitete Theodizee finde ich spannend, und bejahenswert.
Ich würde dem ersten Brief der fünf Religionslehrer noch eine gewisse Freundlichkeit attestieren. Er setzt sich zumindest mit den Thesen auseinander.
Der zweite Brief ist, wie sagt man so schön “unter jeder Sau”. Hier geht jemand, der eine Zeitschrift namens “Dialog” bearbeitet nicht auf die Bedürfnisse seines Gesprächspartners ein. Kein Wunder, dass die Kirche schrumpft, wenn sie die Bedürfnisse und Zweifel ihrer Menschen so leichtfertig ignoriert.