Jedem Anfang wohnt ein Ende inne. Und jedem Ende irgendwie ein Anfang. Die Schlange der Geschichte verschlingt ihren Schwanz. Sein ist eine Unendlichkeit von Werden und Vergehen.
So sitzen Urd, Werdandi und Skuld am Brunnen Mimirs und weben das Schicksal. Wir waren, wir werden und wir werden sein. Und wir werden einmal nicht mehr sein. Der Tod ist dem Lebendigen so gewiss wie die Entstehung. Die Alchemisten und Magier haben seit jeher versucht, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, und manch einer ist ihm gerade dadurch in die Hände gefallen. So ein chinesischer Kaiser, der in Quecksilber ein Lebenselixier vermutet hat. Immerhin wissen wir jetzt, dass es das nicht ist.
Die Magier versuchen die Tür vor dem Tod zu schließen. Die Priester verschiedenster Religionen wissen, dass die Tür sich nicht auf Dauer verschließen lässt, und entriegeln heimlich den Hintereingang, damit sie nach Erfüllung ihrer Sterbenspflicht zurück ins Haus des Lebens können. Sei es in Form des Jenseits, Paradies, Hades einerseits, oder in Form einer Rückkehr auf diese Welt in Form der Wiedergeburt andererseits. Letztlich akzeptieren viele Priester die Sterblichkeit genau so wenig wie viele Magier, auch wenn sie mehr davon reden.
Vielleicht, ich weiß es nicht, werden mich aktuelle Bestrebungen, den Gencode des Menschen zu entschlüsseln, zu manipulieren oder zu reparieren eines Tages eines Besseren belehren. Vielleicht wird es Wissenschaftlern, den „Magiern“ der Moderne, eines Tages gelingen, das Altern und den Tod aufzuhalten. Doch der Versuch läuft schon lange, und angesichts dessen sind sie noch nicht so weit gekommen.
Es bleiben aber Gedanken davon unberührt. Selbst wenn wir unsterblich sein könnten. Wäre es das, was ihr wirklich wollt?
Was hieße Unsterblichkeit für uns?
„Augenblick verweile, du bist so schön!“ ist der Ausspruch, der schon Faust die Seele kostete. Der Augenblick verweilt nicht, und täte er es doch, was könnte schrecklicher sein? Die Vergänglichkeit der Dinge, lehrt der Buddhismus, ist der Grund ihrer Schönheit. Heb die Vergänglichkleit auf, und das Schönste, das du dir ausmalen kannst, offenbart dir seine ewige Fratze.
Nein, du willst die Unsterblichkeit nicht, Mensch. Du bist nicht für sie geschaffen. Dein Geist erträgt den Gedanken nicht. Ja, ein „Mehr ist besser“ bringst du noch zustande, weil das „Mehr“ knapp, und das Knappe dir begehrenswert ist. Doch entferne die Beschränkung und das gerade noch gewollte wird zur Last. Kann die Katze Langeweile empfinden? Ich kann es dir nicht mit Sicherheit sagen, doch vom Menschen weiß ich es. Wieso sonst würde er sich so beknackte Dinge einfallen lassen, wie er es tut, nur um sich die Zeit, seine eigenste Lebenszeit her-„umzubringen“? In guten Momenten ist euch die Zeit zu knapp, weil ihr vergesst, wie es ist, zu warten.
Im Hades der Griechen, warten die Toten. Diese sind ewig. Ihre Existenz im Jenseits ist nicht knapp, sie warten auf nichts bestimmtes, sie warten einfach. Es ist eine Existenz, nicht ganz unvergleichlich dem menschlichen Leben im Diesseits, wäre es seiner Knappheit beraubt.
Stell dir vor, nichts, gar nichts könnte dich töten. Egal was passiert, du könntest Schmerz erfahren oder Freude doch kein Ende. Wie unangenehm wäre der Schmerz? Wie dauerhaft das Glück? Würde dein Gehirn sich alles merken? Wie oft könntest du das schönste Buch der Welt lesen, bevor du es endgültig auswendig kannst? Oder würdest du irgendwann beginnen zu vergessen? Wie unsterblich wäre die Essenz deines DU, wenn du dich selbst vergisst? Wäre es nicht eine Form von Tod in einem weiterlebenden Körper? Wärst du nicht erst mit einer Endlichkeit konfrontiert, die noch viel schwerer greifbar wäre, noch dazu, mit einer ständigen Endlichkeit, der du niemals ganz entrinnen kannst? Das Ende ist schließlich immerhin auch das Ende der Endlichkeit.
Stell dir vor, du bist unendlich, unsterblich. Erinnere dich, was wir gerade durchgedacht haben. Stell dir vor, du könntest dir eine Sache wünschen. Und diese eine Sache wäre die Vergänglichkeit. Du hast Jahrtausende, Jahrmillionen der Unsterblichkeit ertragen. Einen Zustand, in dem das, was dir derzeit das wertvollste, weil knappste, ist, durch Überfluss entwertet wurde, und nichts daran was ändern konnte. Und du bekommst den einen Wunsch gewährt, über deinen Tod verfügen zu dürfen.
Wie lange würdest du warten, ihn dir zu geben? Wie viel deiner Ewigkeit würdest du mit dem Gedanken an den Tod „umbringen“? Wäre es lustvoll erlebte Zeit, in der du die Entscheidung abwägst, dir ein Ende zu bereiten oder nicht?
Dem Tod sei gedankt!
In diesem Sinne, und solange er unausweichlich ist, sagt dem Tod vielleicht auch einmal Danke, anstatt ihn immer nur zu verfluchen. Ein Sein ohne Tod wäre ein Sein ohne Leben.
In diesem Sinne wünsche ich euch, neben dem trauernden Auge, das die Vergänglichkeit der Freunde, Eltern, Großeltern und vieler anderer lieber Menschen bedauert, auch ein fröhliches Auge, das die eigene Vergänglichkeit von der bereichernden und befreienden Seite erblicken kann.
Eine wilde und fröhliche Nacht der Lebenden Toten, Einkehr, Erinnerung, Tränen und Tanz.
Lebt solange ihr noch könnt!
Bildquelle: Linking Paths (Flickr: Halloween 2008 Pumpkin workshop) [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons
Hi,
realistisch betrachtet ist zwischen Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit zu unterscheiden. Der Mensch ist immer noch ein Organismus und auf den Stoffwechsel angewiesen. Das beste, was man realistisch erreichen könnte, wäre “ewige Jugend”, also das Altern zu verhindern. Immer unter der Annahme, man bekommt alle benötigten Dinge wie Sauerstoff, Proteine, etc. zugeführt.
“Unsterblichkeit” ist daher unmöglich, man kann verunfallen, ersticken, verhungern, …. eben sterben.
Nur unter der Voraussetzung, dass man stets alle benötigten Stoffe zugeführt bekommt (und alle schädlichen Stoffe abtransportiert werden), könnte man theoretisch das Altern verhindern.
Das Leben wäre dann für viele nach wie vor kostbar, weil man es verlieren kann.
Trotzdem würden sich – vermutlich nicht wenige – aus den genannten Gründen früher oder später für den Tod entscheiden.
Es müsste gesellschaftlich vieles geändert werden, also erstmal die Fortpflanzung verboten werden. Straftaten gegen Leib und Leben würden viel schwerer bestraft, man verliert da ja mehr als “ein kurzes Leben” …. andererseits wäre dann lebenslange Haft eine viel schlimmere Strafe, insbesondere wenn sie ohne Möglichkeit auf Lebensbeendigung erteilt wird. 😉
Interessant wäre, wem als erstes langweilig würde. Dem Wissbegierigen, der irgendwann einmal vermutlich alles Wissen erforscht hat, oder dem Couch-Potato, der isst, trinkt, das wieder abgibt und sonst nur vor der Glotze sitzt und sich sinnleere Talkshows ansieht.
Ich würde in dieser Hypothese annehmen, dass die Vergesslichkeit ausreichend Motivation bietet. Irgendwann hat man so viel Wissen angehäuft, oder so viele Talkshows gesehen, dass man etliches wieder vergisst. Dieses Wissen wäre dann wie neues Wissen für uns, bzw. diese Talkshow Episoden wären wie neu für uns, dank des Vergessens.
Damit hätte man bereits wieder Motivation, ewig leben zu wollen.
Probleme hätten wir nur, wenn die Wissenschaft nicht nur dass Altern beendet, sondern zusätzlich auch das Vergessen.
LG Tom
Wie immer Gedanken, die sich zu lesen lohnen.
Die Fragen, die sich aus einer Gesellschaft ergeben könnten, die das Altern bezwingt, aber keine Unverwundbarkeit ermöglicht eröffnen ein ganz eigenes Feld von Science-Ficiton, und sind sehr komplex. Ein Beitrag dazu für die Homepage könnte durchaus interessant sein, falls Sie Interesse haben?
Ansonsten gibt es zum Thema Unsterblichkeit ja auch die Frage des Bewusstseinstransfers, was auch wieder die Frage der Identität aufwirft und so weiter.
Und ein anderer Punkt ist derjenige: Wenn ständiges Vergessen Teil des ewigen Lebens ist/wäre, inwieweit wäre es dann noch dasselbe Leben? Inwiefern würden Persönlichkeiten “sterben” wenn sie sich über die Jahrzehnte/Jahrhunderte komplett neu einspielen würden? Wären Kindheitserlebnisse nach fünfhundert Jahren noch immer prägend? Wie sehr wären solche Veränderungen von einem “Einschlafen und nicht mehr Aufwachen” anders verschieden als in ihrer Geschwindigkeit?
Und eine letzte Frage (für jetzt): Wenn die meisten Affekte, Triebe und Motive sich evolutionär vor dem Druck entwickelt haben, sich angesichts von Leben und Tod durchzusetzen, was passiert mit den Motivationen, wenn der Tod die Bühne verlässt?
Scheint es angesichts der Komplexität der Fragen gänzlich abwegig sich zunächst mit der Sterblichkeit zu arrangieren, sie für sich anzunehmen zu versuchen (und sich dann immer noch bemühen, ein langes gutes Leben zu führen)?