Die Sache mit dem Soll und Ist – Wenn ich Hilfe brauche 2


Dieser Beitrag von Wolfi zu unserer Weihnachts-Challenge 2016 ist möglicherweise ein hilfreicher Beitrag für Hilfe-Bedürftige und deren Ansprechpartner. Deshalb wird er in den nächsten Wochen noch prominent platziert und des Öfteren verlinkt werden.

Nun ist das Fest der Weihenacht,
das Fest, das alle glücklich macht,
wo sich mit reichen Festgeschenken
Mann, Weib und Greis und Kind bedenken,
wo aller Hader wird vergessen
beim Christbaum und beim Karpfenessen; –
und Groß und Klein und Arm und Reich, –
an diesem Tag ist alles gleich.
So steht’s in vielerlei Varianten
in deutschen Blättern. Alten Tanten
und Wickelkindern rollt die Zähre
ins Taschentuch ob dieser Märe.
Papa liest’s der Familie vor,
und alle lauschen und sind Ohr …
Ich sah, wie so ein Zeitungsblatt
ein armer Kerl gelesen hat.
Er hob es auf aus einer Pfütze,
daß es ihm hinterm Zaune nütze.

Erich Mühsam – Weihnachten
http://gutenberg.spiegel.de/buch/erich-m-4656/73

Winter – Wenig Licht und Kälte drücken aufs Gemüt

Winter – Wenig Licht und Kälte drücken aufs Gemüt

Weihnachten ist die Zeit, in der laut Gerüchten die meisten Suizide passieren. Das stimmt zwar laut Statistiken nicht: http://diepresse.com/home/science/4924882/Der-Mythos-von-WeihnachtsSuiziden. Allerdings folgt der Jänner …

Wieso aber sollte dem so sein?

Es ist klarerweise eine Zeit, in der man einem “Soll-Zustand” andauernd begegnet und solche Klischeebilder vergleicht mit dem Ist-Zustand. Es bietet sich zum Jahreswechsel generell die Gelegenheit an, ein Resümee zu ziehen – wie ansonsten maximal zum Geburtstag (Tipp einer Esoterik-Gläubigen vor ein paar Jahren: am Tag davor! Am Geburtstag selbst soll man aber das neue Lebensjahr willkommen heissen!). Es ist eine Zeit der Erinnerungen, an die eigenen, vergangenen Weihnachten.

Und das alles ist immer verbunden mit Emotionen … Traurigen, wütenden, auf sich selbst und andere und Weihnachten und alles und überhaupt. Und die Musik nervt allerorten, ebenso die Menschen.

Vielleicht drückt einen der Schuldenberg, oder der Verlust eines geliebten Menschen. Vielleicht knabbert man an Erfahrungen in der Vergangenheit – Wunden, die bis heute nie verheilen konnten. Dazu die hormonelle Situation, wenig Lichteinfall, die Kälte draussen, usw.

Oft wird auch eine Lösung kaum von den Betroffenen selbst gefunden, obwohl es immer – mindestens – eine Alternative gibt. Meist sind es naheliegende Lösungen, für die man zuwenig Mut oder Kraft hat: Freunde kontaktieren, Familie, Feinde – man will sich nicht aufdrängen, auch …

Und hierin liegt schon auch eine Ursache des Problems: Wenn ich Hilfe brauche, brauche ich Hilfe. Wenn ich Trost brauche, brauche ich Trost. Diese Bedürfnisse werden abgewogen, die eigenen Bedürfnisse in ihrer Wichtigkeit reduziert. Aber sie sind wichtig und sie sind wertvoll, denn sie sagen einem, was man als nächstes tun sollte!

Warum jetzt also erst im Jänner?

Ich sehe da letztendlich nur eine Art “mittelfristige Langzeitwirkung”. Analog dem Spruch “bellende Hunde beissen nicht” sind akute Krisen nur für einen bestimmten Typus von Menschen Anlass genug, Kurzschlussreaktionen durchzuführen.

Allerdings ist nach Silvester dann der Streit verfestigt, es wird auch im neuen Jahr nicht besser, es fängt oftmals auch in der Arbeit bzw. beim Einkaufen und im Alltagsleben mit Frustration und Stress an. Manche wollten vielleicht auch einen letzten Versuch starten, noch ein mal so richtig feiern (was meistens Alkohol heißt und Kater – gar nicht gut …). Und tatsächlich scheint die Winterzeit durch Lichtmangel ebenso ein Einflussfaktor zu sein – deswegen gibt es tatsächlich Lichttherapie und Medikamente.

In der akuten Krise hat man es vielleicht noch geschafft, sich an jemanden zu wenden, vielleicht rief man eine Hotline an, vielleicht sprach man nochmal mit Freunden und Verwandten. Dann brechen diese Akuthilfe-Kontakte weg, oder man fängt an, das ganze im Nachhinein anders zu bewerten – und (z.B.) die Einsamkeit ist wieder da.

Trotzdem: Wann immer das Gespräch auf Suizid kommt, auch wenn man darauf hinweist, dass das Gerücht nicht stimmt und andere Faktoren sich in den Statistiken niederschlagen …

  • Man soll keinmal verstreichen lassen, ohne auf verschiedene Hilfsangebote hinzuweisen! Vielleicht hilft es mal – und wenn es ist, dass man schon einmal von den Hilfsangeboten gehört hat!
  • Man kann dort anrufen, immer wieder und auch nach zwei Wochen nochmal!
  • Man kann einen Chat ausmachen mit einer gut dafür ausgebildeten Fachkraft oder einem bemühten, engagierten Laien.
  • Man kann sich ein neues Hobby oder Thema suchen (bitte nicht Esoterik, positives Denken oder Angst in dieser Gesellschaft).
  • Man kann versuchen, eine neue Art des Genusses für sich zu entdecken, auch – immer mit der Gefahr verbunden, dass es einem nicht gefällt.
  • Man kann auch einmal darüber nachdenken, wie zufrieden man eigentlich sein kann, auch wenn man vieles nicht hat – der Sollzustand laut Werbung, passt der überhaupt zu mir bzw uns? Möchte ich das so? Wie kann man den Ist-Zustand verändern, wenn ich manches nunmal eben nicht verändern kann oder will?
    Ist das wirklich nur schlecht?

Auf jeden Fall: Diese Bedürfnisse nach Trost, nach Gespräch, nach Hilfe sind wertvoll – und sie sind es zahlreichen Menschen in Österreich wert, Zeit, Geld, Fähigkeiten und Gefühle zu investieren, damit diese Bedürfnisse für so viele Menschen wie möglich befriedigt werden.

Und es ist keine Schande!

… und auch deswegen kann man nur hoffen, dass man diese Infos nicht benötigt:

Nochmal als Anmerkung: Akute Hilfe wird auch in zwei Wochen benötigt, wenn die Krise angeblich vorbei ist und Weihnachten schon wieder vergessen in vieler Menschen Gedanken. “Krisen sind eine Chance”, ein Zeichen an einen Selbst, auf sich selbst mehr Acht zu geben, sich um sich selbst zu kümmern. Es ist keine Schande und Schwäche etc. ist irrelevant … Das finden viele Menschen und bieten Hilfe an: Nehmen Sie das bitte an!

Noch ein paar Links und Telefonnummern:

Es gibt so viele Möglichkeiten, die man einfach mal ausprobieren kann:

  • Rat auf Draht 147
  • Kriseninterventionszentrum mit E-Mail Kontaktmöglichkeit http://www.kriseninterventionszentrum.at/
  • JEDE Psychiatrie hat zu Weihnachten Mitarbeiter und Platz! Telefonhotline, Psychiatrische Soforthilfe rund um die Uhr: 01 / 313 30 (täglich 0 bis 24 Uhr) oder die Krankenhaus-Tel. in ihrer Nähe! Es ist auch keine Schande, jemanden auf die Psychiatrie zu begleiten – es ist ein schwerer Weg, für Einen, alleine. Es ist Hilfestellung und wichtig, zu erkennen, wieviel man selbst leisten kann und was andere besser können.
  • Telefonseelsorge: online als Chat (teils auf Buchung), per Telefon 142 (kostenlos und 24h/Tag), mit eigenen Homepages für jedes Bundesland, der evangelischen Kirche, der Caritas… hier zur Google Suche mit allen Links
    https://www.google.at/search?num=100&q= … österreich
  • Caritas Familienhilfe für jedes Bundesland zu finden in der Google Suche
    https://www.google.at/search?q=Caritas+Familienhilfe
  • Ich las von Gesprächs-, Feier- und Hilfsangeboten zu Weihnachten in sozialen Netzwerken, zB:
  • pro mente Oberösterreich: Beratung für Suizidgefährdete und Angehörige 24h Hotline 0732 / 2177
  • man kann (und muss manchmal, siehe Hilfe für Helfer weiter oben) Rettung, Polizei usw kontaktieren
  • und um es zu erwähnen: Auch wir, die Atheistische Religionsgesellschaft, bieten zeitversetzte Kommunikation über das Forum an!

Wolfi ist ein Studienabbrecher aus Innsbruck. Er interessiert sich manchmal für vieles, manchmal nur für weniges. Er ist Regionalkontakt der ARG für Tirol, eventuell ein Gutmensch und ein viel-Redner, hat Fehler und Fehler gemacht – wie jede*r Andere auch – und erfüllt als Projektionsfläche sicherlich noch vieles mehr.


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