Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat kürzlich am 11. Dezember 2020 (G 139/2019) entschieden, die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid mit Ablauf des 31. Dezember 2021 aufzuheben, weil das Recht auf Selbstbestimmung verletzt wird, wenn jede Art der Hilfe zum Suizid unter allen Umständen verboten ist. Ab dem 1. Jänner 2022 ist die Beihilfe zum Suizid daher nicht mehr strafbar.
Wir begrüßen diese deutliche Stärkung der rechtlichen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung, auch bei der Gestaltung des eigenen Sterbens, sehr. Gleichzeitig sehen wir, dass beim Thema „Suizid“ auch große Schutzverpflichtungen bestehen; der Tod ist unumkehrbar. Wir finden auch das Bestreben, weitere Verbesserungen im Palliativmedizin-Angebot zu erreichen, sehr sinnvoll. Auch das kann zur Unterstützung von Selbstbestimmung beitragen. Ein besseres Palliativmedizin-Angebot sollte dazu beitragen, dass möglichst wenige Menschen überhaupt diese schwierige Entscheidung treffen (müssen).
Ebenso hat der VfGH am 11. Dezember 2020 (G 4/2020) entschieden, das Verhüllungsverbot in Volksschulen („Kopftuchverbot“) aufzuheben, weil es den Gleichheitsgrundsatz verletzt und weil die religiöse Neutralität des Staates – etwas verkürzt gesagt – eine sachlich unzureichend begründete Bevorzugung oder Benachteiligung einer einzelnen religiösen Glaubensüberzeugung ausschließt.
Wir begrüßen diese Bekräftigung der Verpflichtung zur religiösen Neutralität staatlichen Handelns, die in dieser Entscheidung des VfGH deutlich zum Ausdruck kommt. Die Bekräftigung der Verpflichtung zur religiösen Neutralität des Staates schützt auch uns Atheist*(inn)en vor gleichheitswidriger Benachteiligung. Das wird sich wohl ganz besonders dann zeigen, wenn der VfGH im Rahmen unseres aktuellen Rechtsmittelweges über eine Beschwerde der Atheistischen Religionsgesellschaft inhaltlich entscheidet. Aber wohl auch dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) im Rahmen unseres aktuellen Rechtsmittelweges über eine Amtsrevision des Kultusamts oder eine Revision der Atheistischen Religionsgesellschaft inhaltlich entscheidet.
Gerne nutzen wir die Gelegenheit, auch auf das in Österreich am 5. September 1992 in Kraft getretene UN Übereinkommen über die Rechte des Kindes („Kinderrechtekonvention“) und das am 16. Februar 2011 in Kraft getretene Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BGBl. I Nr. 4/2011) aufmerksam zu machen. In einer von UNICEF Deutschland kinderfreundlich formulierten Fassung dieser Kinderrechtekonvention heißt es in Artikel 14, der die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit als Recht auch für Kinder feststellt: „Du hast das Recht, Dir Deine eigene Meinung zu bilden und zu entscheiden, ob Du an einen Gott glaubst oder nicht. Deine Eltern sollen Dir dabei helfen, aber auch Deine Meinung berücksichtigen.“
Das Präsidium der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)