Ein Juristenspruch besagt: „Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand“. Das ist für eine Atheistische Religionsgesellschaft nicht unbedingt vorteilhaft. Dennoch versuchten wir als ARG, den negativen Bescheid gegen unseren Antrag auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft vor dem Verwaltungsgericht Wien aufzuheben – leider erfolglos. Nun haben wir auch den Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof: Er wird dieses Verfahren nicht mehr aufrollen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien gilt. Doch war diese Entscheidung und das Verfahren fair? Eine kritische Betrachtung.
Das Eintragungsverfahren und der Zug durch die Instanzen
Wir haben versucht, den Verlauf und die wichtigsten Stationen unseres Eintrgungsverfahrens hier für alle interessierten möglichst nachvollziehbar und im Detail aufzulisten: Eintragungsverfahren. Heute erschien dazu auch ein Artikel auf religion.orf.at. An dieser Stelle möchte ich es kurz zusammenfassen und die aus unserer Sicht gravierendsten Punkte genauer beleuchten.
Ende 2019 haben wir den Antrag gestellt, dass unsere Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) in Österreich als religiöse Bekenntnisgemeinschaft eingetragen wird. Das ist im Bekenntnisgemeinschaftengesetz (BekGG 1998) so geregelt.
Das Kultusamt ließ ein Amtsgutachten über uns erstellen, das unseres Erachtens schwere Mängel aufweist. Wir finden, dass die Lehre der ARG nicht nachvollziehbar wiedergegeben wird, und dass das, was über unsere Lehre ausgesagt wird, teilweise auch ausdrücklich falsch ist – das ist bei einem Gutachten schon problematisch.
Der Bescheid des Kultusamts lautete auf Ablehnung, also gingen wir den Beschwerdeweg zum Verwaltungsgericht Wien, das für die Beschwerde zuständig war. Dort beantragten wir unter anderem, das Amtsgutachten prüfen zu lassen – immerhin das zentrale Beweisstück des ablehnenden Bescheids. Es kam aber anders, und nach dem Verfahren beim Verwaltungericht Wien mussten wir uns wundern, was alles möglich ist.
Wir gingen mit dem Vorwurf der Willkür und der Missachtung der Religionsfreiheit zum Verfassungsgerichtshof, der trat den Fall aber an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ab. Der VwGH ist das Höchstgericht in Verwaltungsverfahren. Wenn man ihn dazu bringen will, einen Fall zu prüfen, muss man eine Revision schreiben, aus der hervor geht, warum der VwGH sich diese Mühe machen soll.
Unsere Revision brachte mehrere Punkte auf, die in einem Verfahren einfach nicht gehen (sollten / sollte man meinen): Der Richter begründete nicht selbst, wie er zu seinem Ergebnis kam. Er ließ sich das von einem Gutachter abnehmen. Aber das darf man nicht. Recht wird von Richtern gesprochen, nicht von Gutachtern.
Wir hatten auch selbst Gutachten bzw. Stellungnahmen in das Verfahren eingebracht. Im Gegensatz zum Amtsgutachter, der evangelischer Theologe ist, und dem Gerichtsgutachter, der (katholischer) Jurist ist, war unseres von einem Religionswissenschaftler geschrieben. Im Gegensatz zum evangelischen Theologen und zum katholischen Juristen sagte der Religionswissenschaftler: Die ARG ist eine Religionsgemeinschaft. Die Stellungnahme wurde aber quasi ignoriert und kommt in den Erwägungen des Verwaltungsgerichts Wien gar nicht vor – quasi ignoriert, insofern es zwar abgedruckt wurde, aber nirgends erklärt wird, wieso die zentrale Aussage “Die ARG ist eine Religinosgemeinschaft” für das Verfahren keinen Unterschied macht. Aber es gab noch mehr solche Ungereimtheiten im Verfahren, von denen ich euch einige im Folgenden aufzählen will.
Der zentrale Punkt ist: Der VwGH war nicht davon überzeugt, sich das anzuschauen. Davon sind wir enttäuscht. Ein weiterer Punkt ist: Der VwGH hat seine Ablehnung etwas seltsam begründet, und darauf möchte ich auch im Folgenden kommen.
Das Problem der Befangenheit
Ein Punkt, den wir angesprochen haben war, dass wir Zweifel an der vollen Unbefangenheit des Richters hatten. Das heißt, wir haben den Verdacht gesehen, dass der Richter seine Entscheidung nicht allein nach den im Verfahren vorgebrachten Gründen und Gegengründen entschieden hatte, sondern dabei möglicherweise auch durch andere Motive oder vorgefasste Meinungen beeinflusst war.
Normalerweise muss man bei einer Revision auch nachweisen, wie ein “Verfahrensmangel” das Ergebnis beeinflusst hat, beziehungsweise, dass man bei korrektem Vorgehen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Bei Befangenheit muss man das nicht, weil es dann offensichtlich kein objektives Ergebnis war.
Lesen wir zuerst, was der VwGH über Befangenheit schreibt, dann, was wir in unserer Revision dazu geschrieben haben, und warum. Am Schluss verlinken wir die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien, die über 130 Seiten hat, und wo man wirklich sehr viel findet (außer einer nachvollziehbaren Begründung) und den Beschluss des VwGH unsere Revision abzulehnen. Die Quellen finden sich am Ende dieses Textes.
Was der VwGH über Befangenheit schreibt
Im Beschluss über uns schreibt der VwGH über Befangenheit in Randziffer (Rz) 16-18. Zuerst gibt er aus der Revision (also unserer Beschwerde) wieder, dass der Richter am Verwaltungsgericht Wien uns bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung den “Rat” mitgeteilt habe, es lieber als weltanschauliche Vereinigung zu versuchen statt als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Weiters wird aufgegriffen, dass der Richter nach der Verhandlung mit einem der Vertreter der belangten Behörde “per Du” gewesen war. Und dass wir deswegen “in Zusammenschau mit der … geschilderten Situation” Befangenheit vermutet hätten.
Weiters führt der VwGH aus, dass das “Wesen der Befangenheit grundsätzlich in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive besteht.” Wobei gilt: “Es genügen Umstände, die die volle Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen lassen und die eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Befangenheit begründen können. Es genügt somit, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss – auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte. (…) Für die Beurteilung (…) ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln” (Randziffer 17) Befangenheit bedeute also, dass “ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist” (Randziffer 18, Beschluss VwGH).
Soweit zur Darstellung des Begriffs der Befangenheit.
Warum der VwGH den Vorwurf der Befangenheit nicht aufgreift
In Randziffer (Rz)18 verweist der VwGH darauf, dass jeder Vorwurf der Befangenheit auch konkrete Umstände aufzeigen muss, die die Objektivität in Frage stellen. “Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen.”
Das oben ausgeführte betrachtend kommt er aber zu dem Schluss (Rz18): “Mit den in Rz16 wiedergegebenen Ausführungen werden derartige eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, allerdings nicht dargelegt. Allein aus der Verwendung des ‘Du-Wortes’ kann eine Befangenheit nicht abgeleitet werden.” (ebenda, also Rz18)
Der VwGH begründet also, dass der Ratschlag vor der mündlichen Verhandlung, es doch gar nicht erst als religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu versuchen, und die Tatsache, dass er mit zumindest einem Vertreter des Kultusamts per-Du war, den Verdacht der Befangenheit nicht überzeugend begründen.
Aber in der Revision war doch noch etwas anderes, vermeintlich Wesentliches:
Was der VwGH nicht erwähnt hat: Mittagessen mit einer Partei
In unserer Revision wurde eine Zeugenaussage erwähnt, wonach der Richter nach der mündlichen Verhandlung noch mit Vertretern des Kultusamts zusammen trat (Revision Seite 23): “Der erkennende Richter sprach dann die Vertreter des Kultusamts an, wobei er mit dem Leiter ‘per Du’ war, und entschuldigte sich, dass er zum schon vereinbarten Mittagessen nicht mitkommen könne, da die Verhandlung nun länger gedauert habe und er schon zur nächsten Verhandlung müsse.”
Im Beschluss des VwGH ist von einem Mittagessen nicht die Rede. Wenn man nur den Beschluss des VwGH liest, könnte man meinen, wir hätten quasi nur wegen des Du-Wortes Befangenheit vermutet. Aufgrund des Beschlusses wissen wir jetzt sicher: Allein das Du-Wort begründet noch keine Befangenheit. Was wir aber nicht nachvollziehen können, was uns der Beschluss nicht erklärt: Wie sieht es aus, wenn man sich mit einer von zwei Verfahrensparteien zum Essen verabredet? Nicht irgendwann, sondern direkt nach der Verhandlung?
Ist die Tatsache, dass man unmittelbar nach einer Verhandlung mit einer Partei zum Essen verabredet ist, vielleicht ein Grund, eine “Hemmung” und “unsachliche psychologische Motive” zu erkennen?
Stellen wir uns die Situation vor: Der Richter führt eine Verhandlung. Es gibt zwei Parteien, eine führt Beschwerde gegen die andere. Der Richter muss jetzt entscheiden, wem er Recht gibt. Danach geht er mit der einen Partei essen, die Andere sieht er möglicherweise nie wieder. Könnte da vielleicht eine Beeinflussung der Entscheidung vorliegen? Könnte es die Stimmung vielleicht etwas trüben, wenn man seinen Bekannten gerade kurz vorher einen Rüffel gegeben hat, ihnen erklärt hat, dass sie schlechte Arbeit gemacht haben? Könnte das eventuell ein unsachliches psychologisches Motiv sein, das die Entscheidung in eine Richtung beeinflusst?
Lassen wir diese Frage zunächst im Raum stehen.
Der VwGH erwähnt das Mittagessen nicht, und so können wir nicht nachvollziehen, ob dadurch ein Verdacht auf Befangenheit begründet wird, oder nicht. Aber die Frage ist: Wenn die Begründung nicht vollständig ist, ist sie nicht nachvollziehbar. Wie sollen wir mit so einer Antwort zufrieden sein? Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs lässt eine wesentliche Begründung unserer Revision aus.
Wenn die Revision keinen Eingang in das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) findet – wo gerichtliche Entscheidungen für die Öffentlichkeit einsehbar abgelegt werden -, dann weiß man auf dieser Grundlage gar nichts von dem vereinbarten Mittagessen, während das Du-Wort explizit erwähnt wird.
Dabei scheint uns das Du-Wort fast schon nebensächlich neben der Sache mit dem Mittagessen.
Als “am Verfahren Beteiligter” erscheint uns “bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände”:
- Entweder der Richter hatte seine Entscheidung ohnehin schon gefällt. Dann wäre das Mittagessen kein Problem, aber er hätte eben auch das Ergebnis der mündlichen Verhandlung vorweggenommen. Das wäre Befangenheit
- Oder der Richter wollte seine Entscheidung ohnehin zum Schluss der mündlichen Verhandlung treffen, dann wäre der Fall entschieden, und er könnte in Ruhe Mittagessen gehen. Wäre er dabei von der Vorstellung beeinflusst, wie sich seine Entscheidung auf die Stimmung beim Mittagessen auswirkt? Man könnte hier unsachliche psychologische Motive vermuten, und damit Befangenheit. (Außerdem hätte das Verfahren noch gar nicht abgeschlossen sein sollen – siehe Frist zur Stellungnahme unten)
- Oder der Richter wollte den Fall erst nach der mündlichen Verhandlung entscheiden, dann erscheint es auch nicht im Sinne eines unparteiischen Verfahrens mit einer der beiden Seiten essen zu gehen. Man könnte an der “Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters (…) zweifeln”: Auch hier könnte das Mittagessen zu einer einseitigen Beeinflussung führen und damit zu Befangenheit.
Wie ich es auch drehe und wende: Dieses Mittagessen erscheint mir nicht sauber. Jetzt mag es vorkommen, dass Verwaltungsrichter und Verwaltungsbeamte sich ab und zu zum Essen treffen. Dann hätte ich aber gerne die Erklärung und Einschätzung des VwGH dazu, der ja scheinbar keine Befangenheit erkennt, aber mir eben auch nicht erklärt, wie das zusammen geht.
So bleibt der Eindruck, dass etwas Unangenehmes vermieden wurde und dass das nebensächliche Du-Wort im Beschluss des VwGH dazu diente, das nicht ganz so nebensächliche Mittagessen zu übertünchen.
Aber wir sind noch nicht fertig:
Der VwGH betonte die Betonung der Umstände. Dann wollen wir uns auch die Umstände anschauen. Was alles ist noch im Verfahren beim Verwaltungsgericht Wien passiert, was die Frage aufwirft, ob der Richter vielleicht auf die eine oder andere Art befangen bzw. nicht unparteiisch war?
Viele der im Folgenden angeführten Punkte haben wir selber als Verfahrensmängel angeführt und als Verfahrensmängel kritisiert.
Aber abgesehen vom Verfahrensmangel an sich sehen wir in diesen Tatsachen auch “Umstände” die uns daran zweifeln lassen, dass das Verfahren unvoreingenommen geführt wurde. Oder anders gesagt: Dass wir von Anfang an keine faire Chance hatten.
Befangenheit im Kontext des Verfahrens beim Verwaltungsgericht Wien
Laut Beschluss des VwGH bedeutet Befangenheit den Verdacht, dass ein Entscheidungsträger seine “vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist” (Beschluss des VwGH Randziffer 18). Befangenheit wird im Kontext betrachtet: Es “ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln” (Randziffer 17). Wie präsentieren sich die konkreten Umstände gegenüber der ARG? Haben wir diese Umstände in unserer Revision aufgeführt? – Wir zitieren jeweils nur die erste Erwähnung des relevanten Punktes.
1. Mangelnde Manuduktion – Fehlende Erklärungen und Hilfestellungen trotz Verpflichtung
Der Richter war über die Tatsache in Kenntnis, dass wir nicht anwaltlich vertreten waren, er muss gewusst haben, dass wir manuduktionsberechtigt waren, dass er der Manuduktionspflicht nach §13a AVG unterlag. Manuduktion heißt übersetzt “an der Hand führen” und heißt sinngemäß: Weil wir keinen Anwalt haben, muss der Richter uns auch erklären, was das bedeutet, wenn er X macht, und was wir jetzt tun könnten.
Wir haben auf unterschiedliche Art versucht, unsere Sichtweise vorzubringen, Fragen aufzuwerfen, die der Klärung der Sachfrage aus unserer Sicht hilfreich wären sowie uns bemüht, einen Universitätsprofessor für Religionswissenschaft in das Verfahren einzubinden. Diese Versuche wurden weitgehend ignoriert, Der Religionswissenschaftler wurde nicht eingeladen, weder als Zeuge, noch als Experte. Wir wurden auch nicht darüber informiert, dass wir gegen verschiedene Entscheidungen des Verhandlungsführers Anträge hätten stellen können. (Der Hinweis auf mangelnde / unterlassene Manuduktion ist in der Revision enthalten – Seite 20.)
2. Kein Interesse an der Qualität des Amtsgutachtens
Im Zuge unserer Bescheidbeschwerde haben wir beantragt, die Qualität des Amtsgutachtens des Kultusamts zu prüfen. Wir hatten berechtigte Zweifel an der Beweiswürdigkeit. Sofern tatsächlich Aussagen über unserer Religionslehre enthalten waren, so legten wir in der Beschwerde dar, dass diese mitunter falsch waren, also nicht den Tatsachen entsprachen (VGW-Erkenntnis, S 35, Revision Seite 4, Fußnote 2). Wir beantragten daher ein “Übergutachten” um dieser Frage nach zu gehen. Das Verwaltungsgericht Wien hatte uns implizit ein solches Übergutachten in Aussicht gestellt (Revision Seite 11). Der tatsächliche Gutachtensauftrag (VGW S. 88) lautete dann aber ganz anders: Es ging nicht darum, ob das Amtsgutachten den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Es ging auch nicht darum, ob das, was über die ARG behauptet wurde, wahr sei. Die ARG vertritt nach wie vor den Standpunkt, dass unsere Religionslehre in mehreren Punkten falsch wiedergegeben wurde.
Der tatsächliche Gutachtensauftrag umfasste jetzt 3 Fragen, die mit dem Amtsgutachten nichts zu tun hatten.
Tatsächlich findet man jetzt im Protokoll der mündlichen Verhandlung die folgende Aussage des Gerichtsgutachters: “Ich sehe mein Gutachten nicht als Übergutachten” (VGW Erkenntnis S 130). Ein schwerwiegender Vorwurf und zentraler Punkt der Beschwerde wurde also im Beschwerdeverfahren gar nicht geprüft.
3. Die Fragen des Gerichtsgutachtens
Die Qualität des Amtsgutachtens wurde also nicht geprüft. Dafür lautete eine der Fragen des Richters an den Amtsgutachters:
“Wird das BekGG einem umfassenden Schutz des Grundrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit gerecht, oder ist es als verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen und daher ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers gegeben?” (VGW Erkenntnis S. 88) z.B. in der Revision auf Seite 9 wiedergegeben). Was veranlasste den Richter dazu diese Frage zu stellen? Und warum sollte diese Frage durch ein Gutachten (noch dazu auf unsere Kosten) geklärt werden?
Unser Antrag lautete eindeutig auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Wir haben mitnichten durchscheinen lassen, dass wir als nicht-religiöse Bekenntnisgemeinschaft eingetragen werden wollten.
Das Kultusamt hatte den Bescheid so begründet, dass wir keine religiöse Lehre vertreten und deswegen auch keine Religion sein könnten. Das war die Entscheidung, die wir angefochten hatten. Das war die Frage um die es ging: Erlaubt uns die Religionsfreiheit, als Atheisten eine religiöse Lehre zu vertreten, zwingt die Religionsfreiheit den Staat dazu, das auch so anzuerkennen?
Aber dass der Richter schon 1 Jahr vor der mündlichen Verhandlung diese Frage stellt, die auf nicht-religiöse Weltanschauungen abziehlt, deutet darauf hin, dass er möglicherweise schon zu diesem Zeitpunkt die Meinung vertrat, dass wir eben nicht das Recht hatten, als Atheisten eine religiöse Gemeinschaft zu bilden. Und das wohlgemerkt noch bevor das Gerichtsgutachten geschrieben war, und lange vor der Verhandlung.
Hatte er seine Meinung sozusagen “vorgefasst”?
4. Freundlicher “Rat”, den Antrag zurück zu ziehen
Dieselbe Einstellung sahen wir bei der mündlichen Verhandlung: Vor dem (tatsächlichen) Beginn der mündlichen Verhandlung trat der erkennende Richter an die anwesenden Mitglieder der ARG heran und teilte seine Meinung bzw. seinen „Rat“ mit, dass die ARG als „weltanschauliche Vereinigung“ antreten solle, weil sie damit die größeren Chancen habe. (…) Es handelt sich hierbei nicht um einen freundlichen Hinweis eines unbeteiligten Dritten” (Revision Seite 23).
5. Das verlorene Gutachten des Religionswissenschaftlers
Eine Stellungnahme / professionelle Einschätzung des Universitätsprofessors für Religionswissenschaft, ging scheinbar auf dem Weg verloren: Sinnvollerweise hätte man dem Gerichtsgutachter alle vorgebrachten Argumente und Einschätzungen zukommen lassen sollen, damit er auf Grundlage des bisherigen Verfahrens sein “Übergutachten” erstellen könnte.
Dabei wurde aber ein wichtiger Text übersehen, nämlich eine Stellungnahme die der erwähnte Universitätsprofessor für Religionswissenschaft verfasst hatte, nachdem er gesehen hatte, dass seine erste kurze Stellungnahme zum Amtsgutachten in den Wind geschlagen wurde. Diese neue Stellungnahme legte ausführlich Mängel am Amtsgutachten aus religionswissenschaftlicher Perspektive dar und bekräftigte, dass es sich bei der ARG sehr wohl eine “religiöse Lehre vertritt” was das Kultusamt ja bestritten hatte, und was die Grundlage für unsere Ablehnung gewesen war. Hätte man sich mit dieser Stellungnahme intensiv befasst, wäre der Schluss nahe gelegen, dass wir aus religionswissenschaftlicher Perspektive eine Religionsgesellschaft seien. Es wäre dann sehr interessant gewesen, auf welcher Grundlage man uns das dan noch absprechen hätte wollen.
Diese Stellungnahme wurde dem Gerichtsgutachter “vermutlich aufgrund eines Kanzleiversehens von Seiten des VwG” (Revision Seite 11 und Seite 19-20) nicht übermittelt. Der Fehler kam erst auf, nachdem die ARG in einer Stellungnahme zum Gerichtsgutachten darauf hingewiesen hatte. Aufgrund der knappen Frist (siehe unten unter Punkt 9), konnten wir die Stellungnahme erst am Vorabend der mündlichen Verhandlung einbringen.
Somit wurde der Fehler seitens des Gerichts scheinbar erst am Tag der Verhandlung entdeckt. Nicht viel Zeit, um ausführlich auf die Darstellungen einzugehen. Hätte ein unvoreingenommener Richter jetzt möglicherweise die Frist verlängert? Oder gar eine zweite Verhandlung angesetzt?
Gerichtsgutachter und Kultusamt (also die andere Partei) setzten sich kurz in einen anderen Raum und lasen schnell die religionswissenschaftliche Stellungnahme.
Der Gerichtsgutachter betonte in der Verhandlung, seine eigene Einschätzung sei nach wie vor gültig, auch wenn der Religionswissenschaftler das Gegenteil behauptete. Warum das so ist, wissen wir ebenfalls bis heute nicht. In den “Erwägungen” des VGW wird die Stellungnahme des Religionswissenschaftlers nicht erwähnt.
6. Kein Interesse am Religionswissenschaftler – in einer Religionswissenschaftlichen Frage
Wir hatten mehrerte schriftliche Anträge gestellt, den Universitätsprofessor für Religionswissenschaft, der uns für das Kultusamt zwei Stellungnahmen verfasst hatte, als (sachkundigen) Zeugen bzw. als Experten in die mündliche Verhandlung zu laden. Aber wir hatten keine Antwort darauf bekommen.
Nachdem bekannt wurde, dass die wichtigere der beiden Stellungnahmen durch einen Fehler des Gerichts nicht übermittelt worden waren (siehe oben) – beantragten wir erneut die Ladung des Universitätsprofessors. “Der Beschwerdeführervertreter beantragt die Ladung von Herrn Univ.-Prof. Dr. Q., damit auch dieser sein Gutachten verteidigen kann. Dieser Antrag wird vom Verhandlungsleiter abgewiesen, zumal der Privatgutachter der Beschwerdeführerin von dieser stellig gemacht hätte werden können” (Erkenntnis VGW S 132).
Nun, Prof. Dr. Q. war nicht nur “Privatgutachter” sondern eben auch Zeuge, jemand der auch aus Erfahrung etwas über die ARG sagen konnte. Und außerdem wussten wir nicht einmal, dass man in einem Verfahren einfach so jemand Unbeteiligten “stellig machen” könnte. Wir erhielten keinerlei Hinweis darüber, obwohl wir offensichtlich mehrfach versucht hatten, ihn in das Verfahren einzubringen – Vergleiche 1. Mangelnde Manuduktion.
Es entsteht unter diesen Umständen ganz deutlich der Eindruck, dass man einen fachkundigen, sachkundigen Experten und Zeugen, der sich schriftlich zu unseren Gunsten geäußert hatte, nicht hören wollte. Sofern der Richter seinen Auftrag so Verstand, den Fall nach bestem Wissen zu entscheiden, stellt sich doch deutlich die Frage, wieso hatte er die Expertise des einzigen tatsächlichen Religionswissenschaftlers so außen vor gelassen?
7. Der verwechselte Autor
Ein von einem Präsidiumsmitglied der ARG verfasster und vom Verlag Brill im “Journal of Law, Religion and State” veröffentlichter (doppelblind peer-reviewter) wissenschaftlicher Artikel zur Frage “Is An Atheist Religion in Austria Legally Possible” wurde vermutlich nicht ernsthaft gelesen: Als Autor führt das Verwaltungsgericht fälschlicherweise Brill Nijhoff an (Revision S 15). Der Artikel ist zur Gänze im Erkenntnis abgedruckt, aber ihm wurde ein falscher Autor zugeordnet. Es entsteht nicht der Eindruck, dass dieses von uns vorgebrachte Beweismittel sorgfältig behandelt wurde.
8. Der Gutachter, der den Richter ersetzt
Im Gutachtensauftrag wurde die ARG namentlich gar nicht erwähnt, die Fragen betrafen anderes. Trotzdem hielt der Gutachter unter “6. Ergebnis” als erstes fest:
“1. Bei der X. (Anm.: im Original steht “Atheistischen Religionsgemeinschaft” [sic]) handelt es sich um keine religiöse Bekenntnisgemeinschaft im Sinne des BekGG 1998” (Erkenntnis des VGW Seite 110).
Das war aber nicht die Frage an den Gerichtsgutachter. Dazu in der Revision (auf deren Seite 10): “Das VwG hätte diese Ausführungen im Gutachten unbeachtet lassen müssen, was, wie oben ausgeführt, gerade nicht der Fall war.”
9. Zehn Tage Zeit für eine Stellungnahme zu 33 Seiten Gutachten?
–>Muss locker reichen!
Nach gängiger Rechtsprechung müssen Fristen zur Stellungnahme so beschaffen sein, dass sie für die Einholung fachlichen Rats bzw. zur Vorlage eines entsprechenden Gutachtens ausreichen. Uns aber wurde ein Gutachten gleichzeitig mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellt (2. Mai 2022). Das Gerichtsgutachten hatte 33 Seiten, wir hatten offiziell 14 Tage Zeit für die Stellungnahme zum Gutachten. Aber gleichzeitig mit dem Gerichtsgutachten erhielten wir die Ladung zur Verhandlung am 12.Mai – also in 10 Tagen! Formulieren wir es vorsichtig: Etwas knapp. Vielleicht nicht ganz angemessen. (In der Revision auf Seite 18). Am Tag der Verhandlung, also 4 Tage vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme zum Gerichtsgutachten wurde “das Beweisverfahren überraschend für geschlossen erklärt” (Revision Seite 26). – In diesem Kontext sei noch einmal daran erinnert: Das Gericht hatte soeben festgestellt, dass es einen (schweren?) Fehler gemacht hatte, und dadurch ein wichtiges Beweismittel zu unseren Gunsten, bisher übersehen worden war, nämlich eine hochqualifizierte Stellungnahme eines Professors für Religionswissenschaften!
Außerdem sehr freundlich: Der Richter erwähnt in seinem Erkenntnis: “Zu diesem Gutachten wurde seitens der Beschwerdeführerin etwa eine Stunde vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung vom 12.5.2022 eine Stellungnahme eingebracht (…)” (Erkenntnis VGW Seite 114). Es wird unterlassen, darauf hinzuweisen, dass dies 4 Tage vor Ablauf der mit 14 Tagen ohnehin bereits zu knappen Frist geschehen ist. Diese Erwähnung im Erkenntnis haben wir in der Revision nicht extra erwähnt. Die zu knappe Frist und ihre Verkürzung hingegen jedenfalls schon (siehe Revision Seite 26 bzw. der hier der vorige Absatz).
10. Muss ein Amt/Gericht wirklich immer alles begründen?
In unserer Bescheidbeschwerde kritisierten wir, dass das angefochtene Amtsgutachten als eine tragende Grundlage für die Entscheidung betrachtet wurde, obwohl die Stellungnahme des Universitätsprofessors für Religionswissenschaft zum gegenteiligen Schluss kam. Auch wir selbst hatten noch vor der Entscheidung des Kultusamts auf Probleme/Mängel im Amtsgutachten hingewiesen. Dieser Frage wurde nicht nachgegangen. Nach dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien wissen wir immer noch nicht mehr. Vielmehr ergibt sich aus dem Erkenntnis des VGW außerdem nicht, wieso die zweite Stellungnahme des Universitätsprofessors für Religionswissenschaft, die in Anbetracht der Umstände ausführlicher ausgefallen war, ebenfalls nicht berücksichtigt wurde. Überhaupt fällt auf, dass das Gericht zwar sehr ausführlich die vorgelegten Texte anführt und abdruckt, sich dabei aber mit eigenen Begründungen und Erwägungen auffallend zurück hält. Sogar so weit zurück hält, dass die Erwägungen und Kriterien des Gerichts nicht für uns nicht nachvollziehbar sind. Auf welche Rechtsnormen stützt es sich? Wie geht es mit unseren Einwänden um? Warum gibt es einem Gutachten den Vorzug gegenüber dem anderen? Es ist uns somit nicht einmal eindeutig nachvollziehbar, was zu einer anderen Entscheidung geführt hätte, weil wir nicht nachvollziehen können, auf welcher Grundlage diese Entscheidung getroffen wurde. Das ist nicht im Einklang mit der gängigen Rechtsprechung (Revision “3.1.2 Fehlen einer eigenständigen Entscheidungsbegründung” Seite 13-18).
11. Zu guter Letzt: Verabredung zum Mittagessen
Das war also die Vorgeschichte, das waren die “konkreten Umstände” der Sache mit dem Du-Wort und dem Mittagessen. Das Mittagessen sozusagen als Tüpfelchen auf dem i, als Sahnehäubchen obendrauf.
Fazit
Kommen wir darauf zurück: “Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen.” Und es ist “maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln.” Beides steht so im Beschluss über die Zurückweisung unserer Revision durch den VwGH.
Ich habe mich bemüht, als “ein am Vefahren Beteiligter” darzustellen, wie ich die “konkreten Umstände” vernünftig würdige. Es kann natürlich sein, dass ich dabei wichtige Dinge übesehen habe, als juristischer Laie Dinge aus dem Zusammenhang gerissen habe. Aber ich stütze mich doch auch auf die Revision, die unser Anwalt verfasst hat. Und damit auch auf Rechtssprechung der Höchstgerichte selbst.
Sie haben jetzt selbst einige der Hinweise zu lesen bekommen, die für uns in Frage gestellt haben, ob dieses Verfahren wirklich unbefangen und ergebnisoffen geführt wurde.
Es geht nicht darum, dass wir sagen können oder wollen, warum eine Befangenheit vorliegt. Es geht darum, ob wir aus dem, was im Verfahren vorgefallen ist, Grund zu der Annahme haben, DASS Befangenheit vorliegt. Ob eine Befangenheit aus eigener religiöser Überzeugung oder aus persönlichen Beziehungen oder aus welchen Gründen auch immer vorliegt, können wir nicht beantworten, darüber zu mutmaßen wäre sinnlos. Es liegen aber zahlreiche Hinweise darauf vor, dass das Verfahren nicht nach den Maßstäben von sachlicher und sorgfältiger Würdigung der eingebrachten Sichtweisen, Einschätzungen und Expertisen geführt wurde.
Wie es aussieht, ist es uns nicht gelungen, den VwGH ausreichend von diesen Mängeln und möglicher Befangenheit zu überzeugen. Wir nehmen diesen Beschluss zur Kenntnis, aber sind doch einigermaßen überrascht und natürlich auch enttäuscht darüber. Wir waren offenbar in Gottes Hand – seine geschätzte Kollegin Justitia wäre uns lieber gewesen.
Im Übrigen sind wir der Meinung, dass der Staat sehr wohl überprüfen kann, ob eine Religion die öffentliche Ordnung bedroht, dass er sich aber zurückhalten sollte, inhaltlich vorzuschreiben welche konkreten Transzendenzbezüge er anerkennen will. Wir sehen darin einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit und gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.