Wir bedanken uns bei Emmerich Lakatha für diesen Gastbeitrag zu einem sehr aktuellen politischen Thema, das in etwa zwei Wochen am 7. Mai 2019 auch im Parlament behandelt werden wird. Copyright by Emmerich Lakatha 2019 – Kopieren und Verbreiten erlaubt.
Ich denke zurück an die Zeiten vor der Fristenlösung. Damals war jegliche Abtreibung verboten. Vergeblich bemühte man sich, eine vernünftige Indikationenlösung gesetzlich einzuführen. Die Kirche legte sich ständig quer. Ich studierte 1950 bis 1955 Theologie. Im Moralstudium lernte ich, dass jede direkte Tötung von Gott verboten sei. Selbst bei einer Problemgeburt, die sowohl für Kind und Mutter bedrohlich war, war es verboten, das Kind zu töten, um die Mutter zu retten. Nach kirchlicher Lehre musste man das von Gott auferlegte Schicksal annehmen und beide sterben lassen, weil die Tötung des Kindes Mord gewesen wäre. Keine leichte Situation für den Arzt. Hier das absolute Verbot, das Kind zu töten, dort die Mutter, die bereits mehrere Kinder zur Welt gebracht hatte.
Im Strafrecht gibt es den Begriff des übergesetzlichen Notstands. Auf den konnte sich ein Arzt berufen, wenn er in einer solchen Situation eine Abtreibung vorgenommen hatte. Das bedeutet, dass er auf jeden Fall wegen der Abtreibung angeklagt wurde und der Richter beurteilte, ob tatsächlich ein übergeordneter Notstand vorgelegen hatte. Wenn dies der Fall war, wurde er trotz des Verbrechens der Abtreibung nicht bestraft. Eine mehr als skurrile Angelegenheit. Es kommt aber noch ärger. Nicht jeder Einzelfall ist eindeutig. Trotzdem muss der Arzt entscheiden. Entschied er sich dazu, die Abtreibung durchzuführen, musste er dem Richter nachweisen, dass tatsächlich ein Notfall vorgelegen war. Nun beurteilte der Richter, ob wirklich ein Notfall vorgelegen war.
Richter sind bei der Rechtsprechung unabhängig. So kam es vor, dass ein Arzt das Glück hatte, vor einem liberalen Richter zu stehen. Stand er jedoch vor einem überzeugten Katholiken, sah die Sache anders aus. Darum sprach man auch vom West-Ost-Gefälle. In Westösterreich waren mehr kirchentreue Richter, im Osten nicht. Diesem Missstand setzte Justizminister Christian Broda durch die Einführung der Fristenlösung ein Ende. Für einen nach Ende der durch die Fristenlösung bestimmten Zeitspanne durchgeführten Schwangerschaftsabbruch, also für die sogenannte Spätabtreibung, wurde eine Indikationenlösung gesetzlich verankert. So musste man auch bei ihr nicht mehr zu einem übergesetzlichen Notstand Zuflucht nehmen. Genau diese skurrile Situation wird durch die von #fairändern angestrebte Lösung wiedererweckt.
Abschließend einige Hinweise zum besseren Verständnis:
Unterscheide: Das Gesetz ist nicht dazu da, zu bewerten, ob ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt ist. Für viele religiöse Menschen etwa ist er immer unerlaubt. Darum darf auch niemand zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden. Überzeugte katholische Spitalsärzte dürfen etwa von der Spitalsleitung nicht dazu gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Ob jemand einen Schwangerschaftsabbruch durchführt oder zulässt, ist seine höchstpersönliche Gewissensentscheidung. Das Gesetz beschränkt sich nur darauf, einen Schwangerschaftsabbruch, der im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt, nicht zu bestrafen.
1) Für die straffreie Abtreibung von gesunden und gefährdeten Kindern gilt in Österreich unterschiedslos die sogenannte Fristenlösung. Das bedeutet, dass keine Bestrafung erfolgt, “wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird” (§ 97 Absatz 1 Ziffer 1 StGB).
2) Wenn aber “eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde”, kann es bis zur Geburt straffrei abgetrieben werden (§ 97 Absatz 1 Ziffer 2 StGB). Eine solche Abtreibung wird Spätabtreibung genannt.
3) Indikationenlösung: Bei einer Indikationenlösung wird einzeln angeführt, unter welchen Umständen die Abtreibung straffrei ist.
4) Haftungshinweis: Ich habe hier nur versucht, verschiedene Details so gut wie möglich und unverbindlich plausibel zu machen. Darum können auf Grund dieser meiner Darstellungen keinerlei rechtsverbindliche Schlüsse gezogen oder Handlungen gesetzt werden.
5) Hinweis auf eine aktuelle Petition: #KeinenMillimeter – https://mein.aufstehn.at/petitions/keinenmillimeter
Dr. Emmerich Lakatha ist katholischer Theologe und Jurist. Über die Petition “#KeinenMillimeter” hat zum Beispiel gestern “Der Standard” in seinem Online-Artikel “#KeinenMillimeter-Bündnis gegen Verbot später Abtreibung” (23.04.2019) berichtet.
Und warum sollten denn Abtreibungen jenseits der extauterinen Lebensfähigkeit des Fetus erlaubt sein. Als Atheisten müssen wir “Mensch sein” an rationalen Kriterien festmachen, es ist daher religiöser Unfug, zu glauben, eine Frühgeburt in der 24. Woche sei ein Mensch, ein Fetus in der 30. aber nicht. Nur mithilfe des Rückgriffs auf vorchristliche religiöse Vorstellungen lässt sich das behaupten. Auch mit Selbstbestimmung hat das nichts zu tun, da ja die Möglichkeit besteht, in besonderen Fällen künstlich induzierte Frühgeburten zu erlauben. Adoptionen sind ohnehin möglich. Das Recht, den eigenen Körper nicht weiter zur Verfügung zu stellen, wird nicht ansatzweise angetastet.