Prosit 12018! Die Zeitrechnung der Holozän-Ära 7


Der Gregorianische Kalender, wie wir ihn kennen und tagtäglich verwenden, hat sich über die Jahrhunderte bewährt und weltweit etabliert. Er hat aber einen Schwachpunkt: Die Anno Domini-Zählung der Jahreszahlen. Sie beginnt an einem willkürlich festgelegten Zeitpunkt inmitten der Blütezeit des Römischen Reiches. Das macht es für historisch interessierte Laien mitunter schwierig, Ereignisse der Menschheitsgeschichte chronologisch einzuordnen. Vielleicht wird es Zeit für eine kleine Korrektur mit großer Wirkung.

„Vor Christus“ und „nach Christus“

Das genaue Jahr der Geburt von Jesus Christus war bereits den frühen Christen unbekannt. Die heute verwendete Anno-Domini Zeitrechnung hat ihren Ursprung in der Spätantike und geht auf den Mönch Dionysius Exiguus zurück. Er bestimmte im Jahr 525 nach heutiger Zeitrechnung anhand von Angaben der Bibel und historischen Dokumenten das Jahr der Geburt von Jesus Christus, welches er als Jahr 1 definierte. Heutige Historiker gehen jedoch davon aus, dass Christi Geburt eigentlich zwischen 7 „vor Christus“ 4 „vor Christus“ stattfand.

Da die Zahl 0 zu dieser Zeit zumindest im Mittelmeerraum noch nicht geläufig war fehlt das Jahr 0 in dieser Zeitrechnung. Das bedeutet, dass das auf das Jahr 1 vor Christus das Jahr 1 nach Christus folgte. Astronomen setzen daher gerne das Jahr 1 v. Chr. als Jahr 0, und bezeichnen die Jahre davon mit -1, -2, usw.

Diese Zeitenwende liegt in einem Zeitraum, in dem viele historisch wichtige Ereignisse stattfanden. Viele dieser historischen Ereignisse sind also teilweise mit negativer Jahreszahl datiert, teilweise mit positiver, je nachdem, wann sie stattfanden. Als Alternative würde sich anbieten:

Ein universelles Jahr 0 für die Menscheit

Ein Ursprung der Jahreszählung, der dazu führt, dass die meisten historischen Ereignisse der Geschichte des modernen Menschen mit positiven Jahreszahlen datiert werden können würde das Verständnis der Menschheitsgeschichte teilweise vereinfachen.

Interessanterweise gab es so eine Jahreszählung zumindest Ansatzweise schon bei den frühen Christen. Im Oströmischen Reich wurden die Jahre „seit Erschaffung der Welt“ gezählt. Diese wurde auf das Jahr 5508 v. Chr. datiert. Im Hinblick auf die Menschheitsgeschichte wären zumindest viele historische Ereignisse von so einer Zeitrechnung abgedeckt. Allerdings würde ihr natürlich aus heutiger Sicht das Makel anhaften, dass sie sich auf ein fiktionales Ereignis bezieht, welches historisch nie stattgefunden hat. Eine Zeitzählung mit einem objektivierbaren Anfangspunkt wäre die bessere Alternative.

Im Jahr 1993 machte der Geologe Cesare Emiliani einen neuen Vorschlag für eine universelle Zeitrechnung: Die Holozän-Ära (Amkürzung HE). Emilianis Idee war äußerst pragmatisch: Zu unserer aktuellen Jahreszahl seien einfach 10000 Jahre dazu zu zählen. Das bedeutet, dass an die bisher vierstellige Jahreszahl einfach nur eine 1 vorne dazu zu setzen ist. Das Jahr 0 in dieser Zeitrechnung liegt ungefähr am Beginn der Epoche des Holozän, in der Zeit, in der die Neolithische Revolution stattfand. Diese war der Beginn der modernen Produktionsgesellschaft und der Sesshaftwerdung der Menschen, ein Meilenstein in unserer Entwicklung.

Willkommen im Jahr 12018!

Wir von der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich verwenden diese Jahreszählung seit etwa einem Jahr in einzelnen Beiträgen hier auf der Homepage und in den Newslettern, und werden sie auch in Zukunft verstärkt verwenden. Eine Motivation dazu war dieses Video des populären Youtube-Kanals „Kurzgesagt“:

https://www.youtube.com/watch?v=czgOWmtGVGs

Hier wird der Holozän-Kalender als „Human Era“-Kalender bezeichnet, mit der Abkürzung HE. Was uns an dieser Zeitrechnung gefällt ist die Tatsache, dass sie fast die gesamte Menschheitsgeschichte mit allen Formen menschlicher Kultur, vom Ursprung weg bis heute, umfasst. Das passt perfekt zu unserer Grundhaltung, einen respektvollen Dialog mit Andersgläubigen und fremden Kulturen zu führen.

Die HE-Zeitrechnung ist also so etwas wie unser „religiöser Kalender“. Wir fordern an dieser Stelle keineswegs, dass sie die derzeit übliche Zeitzählung komplett ersetzt (das wäre wohl mit hohen Kosten verbunden). Wir sehen sie vielmehr als Vorschlag und als Denkanstoß, um sich mit der Menschheitsgeschichte zu beschäftigen. Ihre Verwendung sollte auch rein freiwillig bleiben.

Um die Verwirrung für uneingeweihte Leser möglichst gering zu halten, werden wir uns bei Jahresangaben entsprechender Schreibweisen bedienen. Die Lösung, die wir bisher oft verwendet haben war, die führende Eins der Jahreszahl in Klammer zu setzen, also so: (1)2018. Eine weitere Möglichkeit wäre, sie als Hochzahl zu schreiben, also so: ¹2018. Wir überlegen noch, welche Schreibweise am Sinnvollsten ist. Wenn Sie Vorschläge oder Ideen dazu haben, hinterlassen Sie sie doch bitte in einem Kommentar, entweder hier unten, auf unserer Facebook-Seite oder in unserem Forum.

Wir wünschen alles Gute für das Jahr 12018!

Danksagungen

Wir danken an dieser Stelle unserem Mitglied Lukas Daniel Klausner, der uns auf den Holozän-Kalender gebracht hat. Weiters danke ich Thomas Michael Wanka, der wichtige Anregungen für diesen Beitrag geliefert hat.


Über Martin Marot-Perz

Als Techniker vom Studium und Beruf her kümmert sich Martin Perz um den Online-Auftritt der Atheistischen Religionsgesellschaft. Als Webmaster ist er gewissermaßen der Hüter der (digitalen) Schlüssel dieser (virtuellen) Hallen hier. Gerne schreibt er aber auch als unabhängiger Denker zu weltanschaulichen Themen, Religion und Philosophie.

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7 Gedanken zu “Prosit 12018! Die Zeitrechnung der Holozän-Ära

  • Clemens Z.

    Der gregorianische Kalender hat eine weit bemerkenswertere Schwäche als seine Epoche, denn auf den angeblichen Geburtstermin von Jesus Christus kann man in der Betrachtung ja einfach vergessen, bzw. den Kalender statt gregorianisch auch bürgerlich oder international nennen. Die weit bedauerlichere Schwäche des gregorianischen Kalenders ist seine Ungenauigkeit gegenüber dem Sonnenjahr der Erde. Der in einer Zeit, als astronomische Berechnungen schon mit größerer Genauigkeit möglich waren, geschaffene sogenannte neojulianische Kalender wird achthundert Jahre nach seiner Einführung erstmals um einen Tag genauer sein als der gregorianische. Vielleicht wäre es besser, hier anzusetzen! Und ob man die Jahreszahlen nun um 10000 erhöht oder darauf verzichten kann, also bitte – ist das nicht irgendein Brimborium, Schmuck, weiter nichts?

    • Eosphoros

      Lieber Clemens Z!

      Zu Kalender-Vergleichen ist in diesem https://atheistisch.at/2017/12/31/die-evolution-der-kalender/ Beitrag etwas zu finden. Sind sie mit der Darstellung dort einigermaßen zufrieden?

      Hier bei diesem Beitrag ging es in erster Linie darum, die + und – zu thematisieren. Es macht es gewissermaßen schwierig, Zeitspannend intuitiv zu erfassen, die über die 0 gehen. Wieso hat Sokrates ein – und Ptolemäus ein + ? Was liegt zwischen ihnen, das das rechtfertigen würde?

      Es liegt nahe, sich Gedanken darüber zu machen, wo man den Anfang der eigenen Zeit sieht. Um das Jahr 0 herum, datieren die Christen die Menschwerdung ihres Gottes. Das ist für Christen tatsächlich ein markanter Einschnitt in die Weltgeschichte. Aber sonst? Überall sonst ging die Zeitrechnung weiter. Für China war die Menschwerdung Gottes wie das umfallen eines sprichwörtlichen Sack Reis.

      Martin Perz fordert ja nicht, sofort alles umzustellen, wir wollen zunächst einfach vorschlagen, dass auch Zeitrechnungen anders gedacht weden kann.

      • Clemens Z.

        Mich stören nur diese kleinen Details sehr, freilich ist es nicht sinnvoll, für den Gebrauch auf der Erde in dem Punkt von der erdgebundenen und anthropozentrischen Sichtweise abzugehen, dass man bei einem hiesigen Sonnenjahr bleibt, aber wenn man schon die Epoche des Kalenders verlegen kann, was ja ok ist, weshalb sollte man dann weiterhin noch genau den einen denn wohl auch recht missliebigen **affen einbauen, wo es doch nachweislich bessere Berechnungen gibt? Es wären halt immer wieder einmal ein paar Tage anders als im jetzigen Kalender, dafür wäre er in absehbarer Zeit schon genauer! Nämlich in wahrscheinlich nicht einmal mehr 700 Jahren um bereits einen ganzen Erdentag. Man könnte ja als Epoche, wenn man es braucht, durchaus die Geschichte mit den 10000 Jahren lassen, obwohl auch das natürlich sehr egozentrisch ist von Menschen, die gegenwärtig ein Dezimalsystem verwenden. Seht schwierig, wenn einem das alles viel bedeutet …

  • Werner

    Ich würde einen Kalender für das Anthropozän begrüßen. Als Jahr 0 würde ich das Jahr 1945 vorschlagen, da in diesem Jahr der 2. Weltkrieg endete, die UNO gegründet wurde oder aber auch z.B. die erste Atombombe gezündet würde (was ein einschneidendes und immer nachvollziehbaren Datum in der Geschichte der Menschheit und der Erde darstellt).
    Des weiteren wäre der Republikanische Kalender, wie dieser in der französischen Revolution in Verwendung war, eine gute Basis.
    Wir sollten uns endlich von der 7-Tage-Woche verabschieden und stattdessen eine Dezimalzeit einführen.
    D.h. eine Dezimalwoche mit 10 Tagen. Ein Jahr hat dann 36 ganze und eine Woche mit 5 oder 6 Tagen, je nach Schaltjahr.
    Anstelle von Monaten (Name Monat ist ja auf Mond bezogen) sollten wir für 10 Wochen einen neuen Namen definieren.
    Wegen Arbeitszeit in so einer 10-Tage-Woche sehe ich auch kein Problem, da in einer derzeitigen Arbeitswoche ca. 38,5 Std gearbeitet wird und dies daher für einen Tag eine Arbeitszeit im Durchschnitt von 5,5 Std ergibt.
    Für eine Dezimalwoche wären das dann gesamt 55 Stunden zu arbeiten. z.B. 9,2 Stunden arbeiten an 3 Tagen und dann 2 Tage frei wäre eines von vielen Möglichkeiten….
    Noch wichtiger fände ich aber die Dezimalzeit laut französischer Revolution, welche den Tag in 10 Stunden, 100 Dezimalminuten und 100 Dezimalsekunden unterteilt. (ähnlich wie auch die Swatch Internetzeit).
    Solch ein Zeitsystem war in der französischen Revolution angedacht um sich von der alten, religiösen Zeit abzuheben und wissenschaftlich basiert ein besseres System zu schaffen.
    Vielleicht ist ja die Zeit bald reif dafür.

    • Martin Perz Autor des Beitrags

      Vielen Dank für den interessanten Kommentar! Na ja, den Beginn der Jahreszählung auf (1)1945 zu setzen verstärkt die im Artikel beschriebene Problematik der “negativen Jahre”. Außerdem ist es meiner Meinung nach etwas kurzsichtig, das Jahr Null so nahe zur Gegenwart anzusetzen. Kein Zweifel, das Jahr 1945 war ein herausragendes Jahr der jüngeren Geschichte, ein Jahr, in dem sich vieles zum Besseren wendete (Dass wir das Ende des 2. Weltkriegs als Ereignis betrachten, welches eines eigenen Feiertages würdig ist, haben wir zum Beispiel hier dargelegt: https://atheistisch.at/2017/05/08/8-mai-2017/). Andererseits: Auch das Ende des ersten Weltkrieges und der Habsburgermonarchie, welches sich heuer zum 100. mal jährt, war ein einschneidendes Ereignis. Viele Menschen in Osteuropa betrachten wohl die Jahre 1989/90 als bedeutenden Zeitpunkt des Neuanfangs. Auch in der näheren Zukunft werden wohl bedeutende Dinge passieren, die im Nachhinein als historische Meilensteine gewertet werden. Man sieht: Ein Jahr Null an historischen Zeitpunkten festzumachen ist nicht einfach und immer höchst subjektiv. Insofern ist der Ansatz, das Jahr 0 in die weitere Vergangenheit zu setzen, in der historisch noch nicht viel passierte, meiner Meinung nach gar kein schlechter (aber natürlich auch immer noch etwas willkürlich und diskussionswürdig).

      Zur dezimalen Zeiteinteilung: Ich bezweifle, dass die Zeit dafür bald reif ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und die Sieben-Tage-Woche lässt sich bis zu den alten Babyloniern zurückverfolgen. Warum ausgerechnet sieben? Es ist eine Magische Zahl, außerdem kannten die frühen Astronomen sieben Planeten: Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn (Ja, damals war die Definition eines “Planeten” noch eine andere 😉 ).

      Ja, eine konsequent dezimale Einteilung der Zeit mag auf den ersten Blick viel logischer erscheinen als das heute übliche Chaos mit 60 Sekunden und Minuten, 24 Stunden und sieben Tagen. Aber eigentlich müsste man zuerst einmal das Dezimalsystem an sich hinterfragen, bevor man es auf Biegen und Brechen überall drüberstülpen will. Wir verwenden dieses Zahlensystem wohl deswegen, weil wir zehn Finger haben. Aber die 10 ist eigentlich sonst nicht so eine herausragende Zahl. Sie hat zum Beispiel nur vier Teiler: 1,2,5 und 10. Die 12 hingegen hat sechs Teiler: 1,2,3,4,6,12. Sie ist eine hochzusammengesetzte Zahl, siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Hochzusammengesetzte_Zahl. Und siehe da: Auch die Zahlen 24 und 60 sind in dieser Kategorie zu finden. Die Einteilung der Sekunden, Minuten und Stunden mit diesen Zahlen ist also durchaus nachvollziehbar.

      Andererseits, da wir uns ja angeblich im Zeitalter der Digitalisierung befinden, wäre es zu überlegen, ob wir nicht gleich auf das Binär- oder Hexadezimalsystem umsteigen sollten ;). Die letztere Überlegung ist natürlich nicht ganz ernst zu nehmen. Was ich damit verdeutlichen will ist: Es macht nicht immer Sinn, Altbewährtes komplett umzukippen.

  • Wilfried Apfalter

    Ich sehe allerdings auch ganz klar den Vorteil der kleinen Zahl. Mir fällt es leichter, 15 und 529 voneinander zu unterscheiden als 10015 von 10529.