Das Eintragungsverfahren der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich 3


Atheismus und die Religionsfreiheit in Österreich

1. Sonderstellung für Religionsausübung: Die Covid-19-Einschränkungen und ihre Ausnahmen für den religiösen Bereich haben gezeigt, welchen Stellenwert das Grundrecht auf Religionsausübung und Religionsfreiheit im österreichischen Recht beziehungsweise in der österreichischen Gesellschaft genießen.

2. Erfordert Neutralität: Umso wichtiger erscheint es, dass der Staat hier seinen verfassungsmäßigen Verpflichtungen zur Neutralität und Gleichberechtigung unterschiedlicher religiöser Anschauungen und Vorstellungen nachkommt. Der Zugang zu den Grundrechten muss gerecht geregelt sein.

3. Anspruch auch für Atheist(inn)en: Auch Menschen, die sich in ihrer Praxis als atheistisch(-religiös) verstehen und zu einer Religionsgesellschaft zusammenschließen, müssen von diesem Grundrecht geschützt werden.

4. Selbstverständnis der ARG: Die Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) versteht sich als atheistisch-religiös, ist ein solcher Zusammenschluss und hat den Antrag auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft gestellt.

5. Ablehnung durch Kultusamt: Das Kultusamt hat diesen Antrag abgewiesen. Es beruft sich dabei auf ein Gutachten eines Amtssachverständigen, das der ARG bescheidet, es handle sich bei ihrer Lehre nicht um eine religiöse Lehre.

6. Fragliche Rechtsanwendung des Kultusamts: Das Gutachten zitiert an keiner Stelle anwendbares Recht.

7. Fraglicher religionswissenschaftlicher Standard: Um die Frage des Vorliegens einer religiösen Lehre zu beurteilen wird eine religionswissenschaftliche Perspektive eingenommen, die nicht auf dem Stand der religionswissenschaftlichen Debatte ist. Das hat die ARG unter Verweis auf eine Stellungnahme des Professors für Religionswissenschaft Gerald Hödl dem Kultusamt mitgeteilt.

8. Einschätzung “religiöse Lehre” im Gutachten: In Punkt 3.2.5.2 des Bescheids wird erklärt, die “reine Bezugnahme auf ‘Gottheiten'” reiche “nicht aus, um die Lehre der ARG als religiöse Lehre zu beurteilen.” Sowie: “Aus der Ablehnung von Lehren mit Transzendenzbezug ergibt sich noch nicht zwingend, dass ein solcher vorliegt. Letzteres trifft insbesondere auf Weltanschauungen zu, welche Gottheiten religiöser Lehren im Sinne des BekGG als reine Konstrukte des menschlichen Verstandes ohne transzendentes Fundament betrachten.”

9. Mangelnder Bezug zur dargestellten Lehre der ARG: Die ARG stellt gar nicht den Anspruch, ihren Transzendenzbezug auf die “Ablehnung von Lehren mit Transzendenzbezug” zu basieren. Ebenso wenig bezeichnet sie “Gottheiten religiöser Lehren […] als reine Konstrukte des menschlichen Verstandes ohne transzendentes Fundament.” Die Aussagen des Gutachtens mögen also für sich selbst genommen wahr sein oder nicht; sie haben keinen (ausreichenden) Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand – der konkreten Religionslehre der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich.

10. Tatsächlicher Gottes- und Transzendenz-Begriff der ARG: Die ARG stellt ihren eigenen Gottesbegriff vor und auch ihren eigenen Transzendenzbegriff. Gottheiten sind demnach von Menschen erschaffene Gottheiten. Sie sind Kulturprodukte. Sie haben eine jahrhunderte- oder gar jahrtausendealte Geschichte, überdauern und verändern sich in Wechselwirkung mit den Lebenswelten und Auffassungswelten der jeweiligen Generationen. Diese Kultur, in die ein menschliches Individuum hineingeboren wird, an der es Anteil hat – ohne gleichzeitig ganz in ihr aufzugehen und seine Individualität zu verlieren – genau das ist letztlich eine Transzendenz nach der Lehre der ARG: ein Übersteigen des individuellen Horizonts und die Anteilnahme am Übersteigenden.

11. Christlicher Transzendenzbegriff als Kriterium? Das Gutachten des Kultusamtes verwendet einen spezifischen Transzendenzbegriff. Demnach ist das Transzendente das, was die Welt als Ganzes übersteigt. Das ist ein Transzendenzbegriff aus der christlichen Theologie. Wenn der Staat an einen Antragssteller ein christliches Muster anlegt, verletzt er seine religiöse Neutralität. Der Religionsrechtsexperte Richard Potz meinte dazu in einem Rechtskommentar, dass die Deutung des Transzendenzbezugs der jeweiligen Gesellschaft selbst überlassen bleiben muss, der Staat habe nur festzustellen, ob ein solcher Bezug vorliege. Die ARG hat einen eigenen Transzendenzbegriff, der verständlicherweise vom christlichen abweicht.

12. Religionsbegriff der “Statusrichtlinie” 2004: Das Europaparlament und der Rat der EU haben in der Statusrichtlinie 2004 festgehalten, dass der Begriff der Religion “insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen” umfasst. Da die Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, ist sie seit 2014 unmittelbar anwendbares Recht.

13. Religionsbegriff des Kultusamtes zu eng: Das Kultusamt legt den Begriff der Religion so eng aus, dass atheistische Glaubensüberzeugungen de facto ausgeschlossen sind, da Transzendenz und Gottheit in einem christlichen Licht betrachtet werden und vorausgesetzt werden. Darin sehen wir einen Widerspruch zwischen Gesetzgeber und Gesetzesanwendung. Die Entscheidung des Kultusamts steht damit für uns im Widerspruch zum geltenden Recht.

14. Falschbeurteilung der Praxis als Folgefehler: Nachdem das Kultusamt die Lehre der ARG verkennt, erkennt es konsequenterweise auch die Praxis nicht als religiös an. Ihm bleibt der Blick auf die Bedeutung der Handlungen verschlossen. In Punkt 3.2.13 erkennt das Kultusamt: “[B]ei den von der ARG beschriebenen Treffen handelt es sich im Wesentlichen um einen Diskussions- und Ideen- sowie Erfahrungsaustausch, der aber keine religiösen Bezugspunkte aufweist oder eine Begründung in der Lehre der ARG findet. Es ist dabei kein religiöser Kultus, keine bestimmte Form der gemeinsamen religiösen Erhebung oder der gleichartigen religiösen Betätigung erkennbar.” Das Vorbild für religiöse Praxis scheint demnach eine bestimmte Form der “gleichartigen religiösen Betätigung” zu sein. So als gälte: Ohne Weihrauch und Rosenkranz keine Religion.

15. Bedeutung der Praxis aus der Perspektive der ARG: Im Verständnis der ARG ist es gerade das Bemühen um eine gemeinsame Sprache und eine dialogförmige Annäherung an den anderen Menschen und die Ideen über die Welt, die den einzelnen Menschen mit der Menschheit verbinden. Es ist diese kulturschaffende Tätigkeit, die den Menschen zum Menschen macht und ihm somit erst erlaubt, seine Bestimmung in der Welt zu suchen und gegebenenfalls zu erfüllen. Das religiöse Opfer wird nicht in Form von Weihrauch oder Hostien erbracht, sondern in Form von geistigen Ressourcen – Verausgabung von Zeit und Fähigkeit. Die Betätigung ist es gerade, sich über diese Fragen Gedanken zu machen. Es geht darum, der Wahrheit näher zu kommen, indem man sprachliche Barrieren dialogisch beseitigt. Das kulturelle Leitmotiv, die Orientierung im Wertehorizont, entsteht in der kulturellen Erzählung, im Dialog, im Streit der Ideen und Argumente. Im Lichte und Sinne der Religionslehre der ARG ist dieses Handeln somit Ausdruck und Ausübung religiöser Überzeugung.

16. Mangelnde Neutralität des Kultusamtes: Auch hier könnte attestiert werden, dass das Kultusamt von einem christlichen Praxis-Begriff als Norm ausgeht, bei dem kultische Handlungen in Form von Bewegung/Tanz, Gesang und physisch-tangiblen Opfergaben zu erfolgen haben. Wären wir allerdings christlichen Glaubens, hätten wir nicht als Atheist(innen) die Eintragung beantragt. Unsere eigene Religionslehre als Bekenntnisgemeinschaft wurde also zur Beurteilung unserer Praxis nicht herangezogen.

17. Schlussfolgerung: Wir werden den Bescheid des Kultusamtes anfechten.

18. Offene Frage 1: Religiöse Neutralität des Staates Es wird festzustellen sein: Wie kann der Staat religiös neutral feststellen, was eine religiöse Lehre ausmacht? Und wenn ein solcher Modus gefunden wird, hat er erneut festzustellen, ob es sich bei der Lehre der ARG um eine religiöse Lehre handelt, da der vorliegende Bescheid fehlerhaft ist.

19. Offene Frage 2: Gleichheit und Verhältnismäßigkeit im Recht Es wird weiters festzustellen sein, ob eine Unterscheidung von zutiefst empfundener Weltanschauung und Wertehaltung, die sogleich Orientierungs- und Handlungsgrundlage ist, in religiöse Überzeugungen einerseits und nichtreligiöse Überzeugungen andrerseits sachlich gerechtfertigt ist. Und weiters, ob es angesichts eventuell festgestellter Unterschiede verhältnismäßig ist, dass religiösen Gemeinschaften nach dem BekGG so weitreichende Sonderrechte zukommen, während sie vergleichbaren als nichtreligiös beurteilten Gemeinschaften verwehrt bleiben.

Kurzgefasst:

Der Bescheid des Kultusamtes weist grobe Mängel auf. Er stützt sich nach wie vor auf ein mangelhaftes Gutachten, auf dessen Mängel wir bereits in unserer Stellungnahme vom 14. August 2020 hingewiesen haben. Das Gutachten erstellt keinen zureichenden Befund über die konkrete Religionslehre der ARG und bezieht sich nicht auf geltendes Recht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie der Staat so entscheiden kann, dass er seine Neutralität wahrt. Weiters ist offen, ob eine Spezialbehandlung religiöser Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften überhaupt gerechtfertigt ist, sofern anscheinende Erstere kaum von Letzteren unterschieden werden können.


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3 Gedanken zu “Das Eintragungsverfahren der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich

  • Thomas Wanka

    Hi,

    der Erwerb der Rechtspersönlichkeit einer religiöse Bekenntnisgemeinschaft ist kein Grundrecht. Es werden durch Versagen keine Grundrechte verletzt. Insbesondere seit Religionen auch als Vereine Rechtspersönlichkeit erlangen können.

    Es ist daher dem Staat überlassen, wie er Grundlagen definiert, welche Grenzen er zieht, etc.

    Gerade die CoViD-19 Einschränkungen haben gezeigt, worauf die Republik Österreich Rücksicht nimmt: Messen, Gottesdienste, öffentliches gemeinsames Beten, etc.

    Das Recht auf Religionsausübung ist ja nicht verletzt, auch nicht die Glaubensfreiheit.

    Wenn der Staat nun Glaubensgemeinschaften, die Messen feiern, Gottesdienste abhalten, deren Gläubige öffentlich gemeinsam beten etc., ein besonderes Prädikat zugestehen will, ist das eine Zusatzleistung des Staates, die die anderen Glaubensgemeinschaften per se nicht benachteiligt. Oder ist das so sogar gewünscht.

    Wenn sich die Republik also entschließt, die öffentliche Religionsausübung zu privilegieren, benachteiligt er damit keine Religionen, die keine öffentliche Religionsausübung kennen.

    LG Tom

    • anonym

      weder ist die angeblich erforderliche und angeblich nicht vorhandene grundlage der religionsausübung nachvollziehbar für mich, noch die ungleichbehandlung beantwortet. ich frage mich auch grundsätzlich, ob es aufgabe des staates ist, religionen zu bewerten – ausgenommen vielleicht im sinne der schädlichkeit für mitglieder (siehe scientology und co).
      soweit ich mich erinner: das gesetz erwähnt bestimmte vorraussetzungen auch quantitativer art, und es beschreibt bestimmte verhinderungsgründe für eine anerkennung.
      dann gibt es auch folgewirkungen, wenn auch grossteils eher auf den folgenden stufen des anerkennungsprozesses.
      auch ist ein einspruch/beschwerde/wiederholung des antrags und eine andere sichtweise erlaubt. zu berücksichtigen ist dabei meiner eminung nach auch, dass hier gesetzliche grundlagen gelten, die nunmal auch schon seit zeiten existieren, in denen es den staat von heute noch nicht gab.
      auch gab es verfassungsgerichtshofurteile, dass eine anerkennung bei vorliegen der voraussetzungen auch zu erfolgen hat.
      somit, und nur damit auch das selbstverständlich erwähnt wird:
      nur weil jemand ihrer sichtweise nicht zustimmt, heisst es noch lange nicht, dass andere ihre ansichten nicht akzeptieren.
      sie teilen sie aber nicht. und das gilt für beide seiten.

  • Heimo

    Meine Ansicht, meine Bitte beinahe: Denkt RITUALE euch aus mit dem ihr Gefühle ausdrückt,z,B das der Sehnsucht zu dürfen frei zu schauen, denken, erkennen, staunen – ohne Angst und Gottesfurcht.Keine Angst vor Phantasien!Macht es in dieser Hinsicht den anderen Religionen (schamlos) nach und habt Phantasie. Vielleicht Zusammenarbeit mit Aktionskünstlern/innen? Macht es nicht so trocken-intellektuell, dass Liessmann Gefühlsargument gegen euch wenden kann.Auf dem Primat Vernunft ist natürlich zu verteidigen. SAPERE AUDE! Aber mehr noch: wagt es auch nichts zu wissen und nichts zu denken, sondern nur zu schauen und zu staunen.Verteidigt so das Recht auf ohne Gottesfurcht! – auf in die Welt und den Himmel schauen dürfen! Schafft Räume hierfür! Das bitt ich euch.Und wenn (der eher unwahrscheinliche Fall?) eintritt eines Tages, dass ihr irgendwie im Angesicht Gottes; dann auch.Auch dann!Schämen sollen sich eher jene, die so schändlich zur Wahrheit. Die feige den ärgsten Unsinn “glauben” – aus meiner Sicht lügen – weil sie dann im Schutze einer Gemeinschaft oder weil sie lechzen nach einem ewigen Leben. Ich habe gewisse Sympathie mit Luzifer.Was zum Teufel zwingt euch so rituallos und trocken zu sein?!? LG (-: