Das Eintragungsverfahren unserer Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) wirft eine Reihe grundlegender Fragen auf. Eine davon kommt für viele Menschen wohl eher unerwartet und lässt sich vielleicht so formulieren: Ist die Frage, was nach dem Tod sein wird, (k)eine religiöse Frage?
Das Kultusamt hat in unser Eintragungsverfahren ein Amtsgutachten als Beweismittel eingebracht. Dieses Amtsgutachten stellt sinngemäß fest, eine religiöse Antwort setze einen Bezug auf das Unerfassbare voraus, und der sei nur in der Sphäre der Transzendenz möglich. Die Frage nach dem Woher und Wohin werde aber in § 2 der ARG-Statuten im Rahmen immanenter Deutungsmuster dargelegt, eine religiöse Antwort werde von der Lehre der ARG nicht gegeben. Der Bescheid des Kultusamts folgt dem Amtsgutachten zur Gänze und stellt sinngemäß fest, die Lehre der ARG sei nicht als religiöse Lehre anzusehen, sodass auch keine religiöse Bekenntnisgemeinschaft vorliege.
Gibt es dafür auch eine tragfähige Grundlage in der Lehre der ARG? Die Lehre der ARG bezieht sich unter anderem – nicht nur, aber auch – auf den Tod und gibt auf die Frage, was nach dem Tod sein wird, eine inhaltliche Antwort. Im § 2 Absatz 8 und Absatz 9 der ARG-Statuten ist zu lesen:
(8) Beim Tod wird unser physischer Körper (meistens vom Leben auf der Erde) verstoffwechselt und unsere kulturelle Dimension existiert in Form der Spuren, die wir hinterlassen haben, weiter.
(9) Wir betrachten den Tod als das unumkehrbare Ende unseres Daseins als aktive, wahrnehmende und empfindende Wesen. Daher sehen wir das Totsein als einen Zustand, in dem kein Leid empfunden wird.
Wenn es zutrifft, dass sich die Frage nach dem Tod (und eine Antwort dazu) und nach dem, was danach sein wird, (und eine Antwort dazu) auf etwas Unerfassbares bezieht, und wenn es zutrifft, dass die Lehre der ARG einen solchen Bezug aufweist, und wenn es zutrifft, dass ein Bezug auf das Unerfassbare nur in der Sphäre der Transzendenz möglich ist, dann folgt daraus, dass die Lehre der ARG einen Transzendenzbezug aufweist. Die ARG selbst nimmt darüber hinaus für sich in Anspruch, über eine Lehre mit mehreren Transzendenzbezügen (im Plural!) zu verfügen (siehe Wilfried Apfalter, „Is an Atheist Religion in Austria Legally Possible?“, Journal of Law, Religion and State, 8/1, 2020, 107-112).
Ein im Amtsgutachten verwendetes Schema spricht von vitaler Religiosität, wenn religiöse Frage und religiöse Antwort gegeben sind. Wenn es zutrifft, dass der Tod bzw. das, was nach ihm sein wird, dem Bereich des Unerfassbaren und der Transzendenz zugeordnet werden kann, und wenn es zutrifft, dass die Frage, was nach dem Tod sein wird, als religiöse Frage gelten kann, und wenn eine Antwort, die sich auf das, was nach dem Tod sein wird, bezieht und sich dazu auch inhaltlich äußert und sich in diesem Sinne auf das Unerfassbare bezieht, eine religiöse Antwort ist, dann folgt daraus, dass auch § 2 Absatz 9 der ARG-Statuten ganz offenkundig einen Transzendenzbezug und eine religiöse Antwort enthält. Im Sinne des im Amtsgutachten verwendeten Schemas liegt dann sogar vitale Religiosität vor. Amtsgutachten und Bescheid des Kultusamts kommen aber zu einem anderen Ergebnis.
Das andere Ergebnis lässt sich vor diesem Hintergrund wohl nur dann logisch vertreten, wenn es zutrifft, dass es sich bei der Frage nach dem Tod und danach, was nach dem Tod sein wird, um keinen Bezug auf das Unerfassbare und um keine religiöse Frage handelt. Im Falle einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht möchten wir den unter Wahrheitspflicht stehenden Amtsgutachter gerne explizit dazu befragen. Der Tod stellt nämlich in der Religionswissenschaft ein klassisches Beispiel für so etwas wie „große Transzendenz“ dar.
Die aktuell (vor-) herrschende rechtswissenschaftliche Lehre zum österreichischen Religionsrecht betrachtet „Transzendenz“ bzw. einen „Transzendenzbezug“ als das zentrale Kriterium für die Unterscheidung von Religion und Nichtreligion (vgl. Herbert Kalb, Richard Potz, Brigitte Schinkele, Religionsrecht, 2003, 3); gleichzeitig stellt sie auch fest, dass „die Beurteilung der Transzendenzfrage […] letztlich dem Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft überlassen werden muss“ (Herbert Kalb, Richard Potz, Brigitte Schinkele, Religionsrecht, 2003, 4).
Wenn unsere Lehre also einen Transzendenzbezug aufweist und eine religiöse Frage stellt und eine inhaltliche Antwort dazu gibt, dann sind wir zuversichtlich, dass sich das im Laufe des weiteren Verfahrens (jetzt im Rahmen unseres Rechtsmittelwegs) aufklären wird. Vielleicht hat sich das Kultusamt in der Einschätzung unserer Lehre ja einfach geirrt. Vielleicht – auch das ist möglich – tut man sich dort auch einfach schwer, eine atheistische Religionsgesellschaft zu akzeptieren, die sich ausdrücklich als atheistisch versteht. Wir wissen, dass unser Zugang viele herkömmliche Selbstverständlichkeiten in Frage stellt. Gleichzeitig wissen wir, dass die Religionsfreiheit nicht nur „alte“ Religionen schützt.
Sehr geehrter Herr Apfalter,
ich möchte mich bei Ihnen für Ihre wunderbaren Artikel bedanken!
Was das Argument des Kultusamtes bezüglich der Transzendenz betrifft, denke ich, dass die Gutachter sich eine Art von Wunschdenken wünschen. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Gutachter selbst religiös geprägt sind, da sie eine ‘einfache Beschreibung’, was nach dem Tod mit unseren biologischen und psychosozialen Überresten passiert, als unzureichend empfinden. Es reichen keine wissenschaftlichen Theorien oder Beschreibungen, es muss eine Erzählung her. Vielleicht sogar eine so starke Erzählung, dass sie sich von anderen Religionen abhebt. Es scheint mir, als fehle den Gutachtern das Mystische, das Unerklärbare, was mit unserer ‘Seele’ passiert. Der Anhaltspunkt, der in den Statuten unter § 2 Absatz 9 genannt wird, nämlich dass im Zustand des Totseins kein Leid empfunden wird, könnte daher eventuell weiter ausgearbeitet werden, um den Ansprüchen des Kultusamtes gerecht zu werden. Natürlich sträubt sich in mir alles, da ich alle Erzählungen als Anmaßung empfinde. Leider können anscheinend die wenigsten damit umgehen, etwas nicht zu wissen oder begreifen, daher greifen sie nach den besten Erzählungen, die diverse Religionen bieten. Statt Wissen wird Glauben als Ersatzmittel verkauft. In diesem durch den Glauben ‘berauschten’ Zustand kann kein religiöser Mensch glauben (ja, die Ironie ist ein Hund), dass man auch ohne Glauben gut leben kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Veronika Nagy
Sehr geehrte Frau Nagy,
vielen lieben Dank meinerseits für dieses Kompliment! In unserem konkreten Fall wurde das Amtsgutachten von einem einzigen Amtsgutachter erstellt. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, das Problematische des Amtsgutachtens vor Gericht nachvollziehbar deutlich zu machen, und bin selbst schon sehr neugierig, wie es rechtlich weitergehen wird und was wir auf unserem Rechtsmittelweg nachhaltig verändern können werden.
Mit freundlichen Grüßen
Wilfried Apfalter
Wurden (bzw. würden) Bhuddismus, Daoismus oder Konfuzianismus auch als Religionen abgelehnt werden?
Wird nicht von christlichen Menschen der Atheismus als Glaube an Wissenschaft mit ihren spezifischen Dogmen wie Anerkennung des Urknalls oder Ablehnung einer Schöpferperson sowie ihren Heiligen wie Darwin als Apostel der Evolution oder Hawking als Guru der schwarzen Löcher verstanden?
Sollte ein religiöser Sachbearbeiter nicht schon dadurch die Transzendenz des Atheismus anerkennen?
Wäre der Sachbearbeiter atheistisch, hätte ich die Begrüßung einer Interessenvertretung der Atheisten erwartet, es sei denn, er fühlt sich nicht wirklich als solcher durch die ARG vertreten.
Ich denke mir, dass die Republik Österreich mit guten Gründen zu einem religiös neutralen Handeln (selbst-) verpflichtet ist.
Buddhismus gilt in Österreich mittlerweile ganz offiziell als Religion, die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft (ÖBR) ist seit 1983 eine gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft:
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1983_72_0/1983_72_0.pdf
Im Hinblick auf Daoismus und Konfuzianismus wurde bisher – soweit ich weiß – noch kein Verfahren beim Kultusamt durchgeführt.