Das Dialogforum Ethik der “Initiative Weltethos Österreich” (IWEO) hat vor Kurzem eine weitere gemeinsame Stellungnahme vorgelegt.
Verhalten in der Pandemie – Solidarität und Verantwortung
Solidarität und Verantwortung sind ethische Grundforderungen, die in der Erklärung zum Weltethos ausdrücklich verlangt werden. So heißt es in der Einleitung u.a.: „Wir sind alle voneinander abhängig. Jeder von uns hängt vom Wohlergehen des Ganzen ab … Wir tragen die individuelle Verantwortung für alles, was wir tun …“. Bedauerlicherweise hat jedoch die Pandemie ohnehin schon vorhandene Defizite in einer an sich der Solidarität verpflichteten Gesellschaft noch vertieft. Angesichts dieser problematischen Situation haben sich die Vertreterinnen und Vertreter der Weltreligionen und des Atheismus innerhalb des „Dialogforums Ethik“ der Initiative Weltethos auf folgende Stellungnahme geeinigt:
Aus hinduistischer Sicht ist Leiden ein Bestandteil menschlichen Lebens, das man allerdings nicht nur passiv als unabänderlich hinnehmen muss, sondern durch positives, moralisches Verhalten auch Auswege finden kann. Denn Leiden ist auch eine Erfahrung, die zur Erkenntnis von Lösungen führen kann. Dabei kann auf das Beispiel hingewiesen werden, dass in Indien Vertreter verschiedener Religionen und Organisationen einen Kooperationspakt zur Bewältigung der Coronavirus-Krise geschlossen haben.
Im Buddhismus bedeutet Solidarität immer auch, die Folgen des eigenen Handelns für andere im Blick zu haben. Verantwortung zu tragen wiederum heißt, gut informiert zu sein und nicht nur sich selbst, sondern dadurch auch andere zu schützen. Treffend kommt dies in einem Wort Buddhas zum Ausdruck: „Auf sich selber achtend, ihr Mönche, achtet man auf die anderen. Auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber.“ (Saṃyutta Nikaya 47, Pfeiler der Achtsamkeit).
Die wechselseitige Beziehung in kritischen Situationen ist ebenfalls in den abrahamitischen Traditionen von großer Bedeutung. Im Judentum steht das Gebot, Leben zu retten, über allen anderen Geboten. Aus diesem Grund muss die Frage „Wie retten wir alle?“ die einzig mögliche erste Frage sein.
Im Christentum wird ebenfalls ein Handeln im Geist der Gegenseitigkeit verlangt, wie es Jesus zum Ausdruck bringt: “Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso” (Lukas 6,31). Zur christlichen Antwort auf das Problem des Leidens gehört darum auch die Befolgung des neutestamentlichen Wortes “Einer trage des Anderen Last”.
Die prophetische Überlieferung des Islam ist von der Überzeugung getragen, dass Gott „für jede Krankheit ein bestimmtes Medikament geschaffen hat“, und Mohammed fordert deshalb zur ärztlichen Behandlung auf. Ebenso kennt der Islam – so wie auch andere Religionen – in der Geschichte Verhaltensregeln (z. B. angesichts der Pest), die einer Quarantäne entsprechen.
Der Stifter der Baha‘i-Religion sieht das heilsame Handeln in einem menschheitlichen Kontext: „O Sohn des Menschen! Wenn du Barmherzigkeit übtest, dann würdest du nicht deinen eigenen, sondern den Nutzen der Menschheit im Auge behalten.“ (Baha’u’lláh, „Worte der Weisheit“).
In einer solchen Krise, wie es die Pandemie ist, erweist sich aus humanistischer Sicht nicht zuletzt auch der Wert gegenseitiger Unterstützung und Hilfe sowie ganz grundlegender menschlicher Beziehungen und kultureller Errungenschaften (wie realistischer wissenschaftlicher Einschätzungen, etwa bei der Impfstoffentwicklung). Beispielsweise wird die Wechselbeziehung von Solidarität und Eigeninteresse deutlich, wenn reiche Staaten sich mit benachteiligten Staaten solidarisieren, um eine gemeinsame Sicherheit zu erreichen.
Die Tatsache, dass die Pandemie ein Weltgeschehen ist, sollte zu einer Verstärkung der Einheit der Menschheit führen. Die Menschheit ist eine Familie. Durch diese Einstellung müsste auch die Solidarität mit den Schwächeren und von der Pandemie stärker Betroffenen wachsen, und zwar auf globaler als auch lokaler Ebene: „Wir dürfen nicht allein für uns selber leben, müssen vielmehr auch anderen dienen und niemals die Kinder, die Alten, die Armen, die Leidenden, die Behinderten, die Flüchtlinge und die Einsamen vergessen….“ (Erklärung zum Weltethos).
Das Bewusstsein, dass jeder Mensch nur ein Teil einer globalen Familie ist, ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche und nachhaltige Lösung der Probleme dieser weltweiten Pandemie. Daher ist jede und jeder Einzelne von uns aufgerufen, alle beschlossenen Schutzmaßnahmen dem Gemeinwohl zuliebe nach Kräften zu unterstützen.
Ein PDF dieser Stellungnahme ist hier auf der IWEO-Homepage zugänglich.