Die Altkatholische Kirche Österreichs hat ein Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft sehr freundlich eingeladen, zum Thema “Veränderung in der Gesellschaft” einen Beitrag für “Kirche in Bewegung” (KiB), die Zeitschrift der Altkatholischen Kirche Österreichs, zu schreiben.
Dieser Beitrag ist nun im Erscheinen (“Kirche in Bewegung”, Jahrgang 56, Nr. 3/2021, Seite 5). Herzlichen Dank an die Altkatholische Kirche Österreichs für diese Form der Gastfreundschaft!
Der Beitrag hat den folgenden Text:
Veränderung in der Gesellschaft
„Veränderung“ bedeutet, dass etwas „anders“ wird. Gesellschaftliche Veränderung kann für uns alle eine Herausforderung darstellen und auch Fragen wie diese aufwerfen: Wie kann dabei das Gemeinwohl gestärkt werden? Wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt glaubwürdig und in weltoffener Wertschätzung für Freiheit(en) und damit mögliche Vielfalt gefördert werden?
Ich würde diese Fragen zu den eher existenziellen Fragen zählen. Und Religion ist eben auch ein kultureller Raum, in dem existenzielle Fragen gestellt werden (können). Das ist, finde ich, ein positiver Aspekt von Religion, den alle, denen ein realistischer Blick auf Religion(en) ein Anliegen ist, nicht übersehen sollten. Gute „Seelsorge“ erinnert uns alle daran, wie wir anspruchsvollerweise sein könnten, und kann uns allen gute Impulse geben. Sie ist damit ein Beitrag zum Gemeinwohl und ein wertvoller Dienst an der Gesellschaft.
Wenigstens einige Veränderungen möchte ich hier gerne auch ansprechen.
Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, 1) dass die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren offensteht, 2) die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid mit Ablauf des 31. Dezember 2021 aufzuheben, weil das Recht auf Selbstbestimmung verletzt wird, wenn jede Art der Hilfe zum Suizid unter allen Umständen verboten ist, und 3) das Verhüllungsverbot („Kopftuchverbot“) in Volksschulen aufzuheben, weil es in seiner konkreten Form den Gleichheitsgrundsatz verletzt und religiöse Neutralität des Staates eine sachlich unzureichend begründete Bevorzugung oder Benachteiligung einer einzelnen religiösen Glaubensüberzeugung ausschließt.
Als Atheistische Religionsgesellschaft freuen wir uns mit allen, denen nun ein gleichberechtigteres Leben möglich ist, und betrachten grundsätzlich jede Form der partnerschaftlichen Liebe, egal ob homo- oder heterosexuell, als wertvollen Baustein für ein gutes Leben. Wir begrüßen auch die Stärkung der Selbstbestimmung beim Lebensende sehr; gleichzeitig sehen wir, dass hier auch große Schutzverpflichtungen bestehen – der Tod ist unumkehrbar – und dass auch Verbesserungen der palliativmedizinischen Versorgung sehr erstrebenswert sind. Ebenso begrüßen wir die (Selbst-) Verpflichtung zur religiösen Neutralität staatlichen Handelns sehr – sie schützt uns alle.
Der Versuch der Übernahme und des Einzementierens von Macht mit unlauteren Mitteln ist eine ernste Angelegenheit. Wer als öffentlicher Amtsträger erhebliche öffentliche Mittel einsetzt, um z.B. durch Inseratekorruption – die eindeutig guter journalistischer Praxis widerspricht – die Medienberichterstattung massiv zum eigenen Vorteil zu beeinflussen, missbraucht seine Vertrauensstellung. Die Bezeichnung „Korruption“ (lateinisches Verb corrumpere, Nomen corruptio) spricht klar aus, dass etwas „gemeinsam zerbrochen/beschädigt/zerstört“ wird. Korruption unterminiert den Rechtsstaat. Wirklich nachhaltige Antworten darauf werden vielleicht nicht ohne eine kluge Stärkung des Rechtsstaats auskommen.
In einigen Ländern, in denen die Religionsfreiheit nicht respektiert wird, werden Menschen aus religiösen Gründen verfolgt. Österreich gewährt gegebenenfalls – nach strenger Prüfung im konkreten Einzelfall – Asyl und schützt damit die Religionsfreiheit. Auch die von Atheist*(inn)en. Als ARG unterstützen wir Mitglieder bei Bedarf und nach Möglichkeit dabei, dass ihre atheistische Überzeugung wahr- und ernstgenommen wird.
Die Atheistische Religionsgesellschaft verfolgt das langfristige Ziel 1) einer Sichtbarmachung von Veränderungen darin, was als Religion wahr- und angenommen wird und wie sie gelebt wird, 2) einer vollen Gleichberechtigung und Anerkennung, und 3) der Eröffnung neuer Räumer kultureller Partizipation für Atheist*(inn)en. Der Genetiker John Haldane hat einmal vier Phasen des Akzeptierens beschrieben (Journal of Genetics 58, 1963, 464, übersetzt): „1. Das ist wertloser Blödsinn, 2. Das ist eine interessante, aber perverse Perspektive, 3. Das ist wahr, aber ziemlich unwichtig, 4. Ich habe es immer schon gesagt.”
Mag. Mag. Wilfried Apfalter, BA BA, ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG, www.atheistisch.at), die aktuell über 370 Mitglieder hat und sich seit Dezember 2020 im Beschwerdeverfahren gegen einen abweisenden Bescheid des Kultusamts befindet. Auswahl aktueller Publikationen: Wilfried Apfalter (2020), Is an Atheist Religion in Austria Legally Possible? Journal of Law, Religion and State 8/1 (2020) 93-123. Wilfried Apfalter (2019), Griechische Terminologie: Einführung und Grundwissen für das Philosophiestudium. Freiburg im Breisgau: Alber.