Dieser Beitrag ist der vierte Teil einer vierteiligen Serie zu Transzendenzbezügen der Atheistischen Religionsgesellschaft (1,2,3,4).
Religiöse Neutralität staatlichen Handelns
Der Umstand, dass die Atheistische Religionsgesellschaft als eine ausdrücklich atheistische religiöse Bekenntnisgemeinschaft andere Vorstellungen über Transzendenz vertritt als eine theistische religiöse Bekenntnisgemeinschaft, ist vielleicht nicht überraschend und kann vielleicht auch die Schwierigkeit, sich in die Perspektive der Atheistischen Religionsgesellschaft hineinzuversetzen, zumindest teilweise erklären. Gerade hier zeigt sich sehr deutlich, wie wichtig eine religiös neutrale Herangehensweise des Staates ist. Die religiöse Neutralität des Staates verlangt eine religiös neutrale Entscheidungsbegründung. Eine solche wiederum gebietet ein Bemühen um möglichst klare und religiös neutrale Begriffe. Ein religiös neutrales Vorgehen wird das Vorliegen eines atheistischen Transzendenzbezugs nicht von vornherein ausschließen, sondern im jeweils vorliegenden Fall sehr genau überprüfen und das Ergebnis dann auch entsprechend begründen. Da es sich bei der Religionsfreiheit um ein Grund- und Menschenrecht handelt, ist wohl eine besondere Sorgfalt gefordert. Dazu zählt, ausreichend tragfähig zu begründen, auf Grundlage welcher sachlich und rechtlich zwingenden Erwägungen die religiös neutrale Entscheidungsinstanz in der Lehre der Atheistischen Religionsgesellschaft einen Transzendenzbezug feststellen oder nicht feststellen kann.
Das Beibehalten der vom Kultusamt in seinem abweisenden Bescheid verwirklichten Auslegung des Transzendenz- und Religionsbegriffs würde dazu führen, dass atheistische Glaubensüberzeugungen, die von der individuellen Religionsfreiheit unbestritten geschützt sind, von der korporativen Religionsfreiheit grundsätzlich ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluss lässt sich sachlich und rechtlich wohl nicht wirklich rechtfertigen. Das Kultusamt trägt als oberste Kultusbehörde der Republik Österreich eine sehr hohe Verantwortung. Das nun aufgrund unserer Bescheidbeschwerde zuständige Verwaltungsgericht Wien hat angesichts einer in Österreich faktisch vorhandenen religiösen Vielfalt die historische Chance, bei seinem Einsatz für eine religionsneutrale Rechtsanwendung einer weltoffenen und weitblickenden Auslegung des staatlichen Religionsrechts zum Durchbruch zu verhelfen.
Weltoffenheit
Wäre es zu naiv gedacht, anzunehmen, dass neben einem religiös neutralen Staat auch viele weltoffene Menschen – unabhängig davon, ob sie persönlich vielleicht als Angehörige anderer Religionen zusätzlich auch noch an andere Formen von Transzendenz glauben oder nicht – bei genauem Hinsehen die Transzendenzbezüge der Atheistischen Religionsgesellschaft als Transzendenzbezüge erkennen können?
Wilfried Apfalter ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)
Sehr geehrter Herr Mag. Wilfried Apfalter!
Das Thema Transzendenz ist sehr verständlich, grundlegend und eingehend behandelt worden.
Ich habe alle 4 Teile gelesen, und möchte sie nochmals lesen.
Ausgehend von Ihren Ausführungen, ist mir der Gedanke gekommen, dass der Mensch und somit die menschlichen Gemeinschaften ohne jegliche ‘Religion’ transzendent sind.
Es verrät Mangel an Menschenkenntnis, wenn jemand in der gegebenen Angelegenheit das Fehlen von Transzendenz beanstandet.
Herzlichen Dank für die 4 Teile.
Warum argumentierst du eigentlich nie mit dem auch in der religionsunabhängigen Philosophie nicht selten verwendeten Begriff “transzendental”?
Ganz naiv würde ich zB sagen (und habe das schon vor vielen Jahren geäußert), dass ein Streben nach Gerechtigkeit, Wahrheit etc. sich doch eindeutig auf Transzendenzes bezieht, weil eben Gerechtigkeit, Wahrheit etc. aller Erfahrung nach nirgends voll verwirklicht bzw. verwirklichbar sind – dieses Streben also alle realen Erfahrungen überschreitet.