Wählen – Das demokratische Ritual


Wählen hat durchaus die Eigenschaften eines Rituals. Das Wahlergebnis ist etwas transzendentes. Und Nichtwählen scheint eine Sünde zu sein. Ein unkonventioneller, etwas blasphemischer Blick auf die Parallelen zwischen Demokratie und Religion, zur Einstimmung auf den Wahlsonntag.

Wahllokal

Wahllokal
© Alexander Hauk www.alexander-hauk.de

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete vor ein paar Wochen den Wahltag als den „höchsten Feiertag den die Demokratie zu bieten hat“. Vor wenigen Tagen wiederholte er diese Formulierung noch einmal in einem Video. Ich stimme ihm zu. Der Wahltag ist etwas besonderes, und es ist ein großes Glück, in einem Land zu leben, in dem es freie und geheime Wahlen gibt. Das sollte man würdigen. Bei genauerer Betrachtung ist es aber durchaus bemerkenswert, dass Van der Bellen ausgerechnet den Begriff „Feiertag“ in diesem Zusammenhang ins Spiel gebracht hat. Ein Feiertag hat ja grundsätzlich immer einen religiösen oder allgemein weltanschaulichen Hintergrund. Ist auch die Demokratie eine Art Religion? Es gibt jedenfalls einige Parallelen zwischen dem Wahlgang und religiösen Ritualen, die ich hier beleuchten möchte.

Wählen und Beten

Ich würde so weit gehen, im Akt des Wählens eine Art Ritual zu sehen. Ich sehe hier Parallelen zum Beten. Beim Beten geht es vor allem darum, Hoffnungen, Wünsche und Ängste zum Ausdruck zu bringen. Dass die Gebete erhört werden ist aus meiner atheistischen Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Und Wählen? Nun, auch wählen geht man nicht zuletzt deshalb, seine eigene politische Einstellung zum Ausdruck zu bringen. Nach außen hin bewirkt die abgegebene Wählerstimme zwar eindeutig mehr als ein stilles Gebet zu Gott, aber in Summe betrachtet ist der Einfluss der eigenen Wählerstimme nüchtern betrachtet immer noch verschwindend gering.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich will den Wert der einzelnen Wählerstimme keinesfalls kleinreden. Sie trägt zu etwa einem Fünfmillionstel zum Wahlergebnis bei. Das ist fast nichts. Dennoch setzt sich das Wahlergebnis aus jeder einzelnen Stimme zusammen, und wenige Stimmen Unterschied können mitunter über Sieg und Niederlage entscheiden.

Die Transzendenz des Wahlergebnisses

Das Wahlergebnis ist schon an der Grenze zum Transzendenten. Sprich, es übersteigt schon ein wenig unsere Vorstellungskraft. Vor allem dann, wenn es ganz anders ausfällt, als man es sich anhand der letzten veröffentlichten Umfragen und des eigenen Umfeldes erwartet hätte. Das liegt vor allem daran, dass wir es hier mit großen Zahlen zu tun haben, mit denen wir uns schon schwer tun. Bei der letzten Nationalratswahl 2013 waren 6.384.308 Menschen Wahlberechtigt, 4.782.410 Stimmen wurden abgegeben (Quelle). Mit solchen Zahlen kann der Menschliche Geist kaum mehr etwas anfangen. Aber es sollte klar sein, wieso das Wahlergebnis für ganz Österreich mit Sicherheit anders ausfallen wird als jenes in unserem Verwandten- und Bekanntenkreis: Die Anzahl der Personen, die wir kennen, ist vernachlässigbar gering im Vergleich zur Anzahl der Wahlberechtigten.

Die Sünde des Nichtwählens

Die Freiheit der Wahl beinhaltet auch die Möglichkeit, nicht wählen zu gehen. Diese Unterlassung der Stimmabgabe ruft jedoch bei vielen politisch Interessierten Ablehnung hervor. Offenbar wird es als Sünde betrachtet, von seinem Wahlrecht nicht Gebrauch zu machen.

Ich bin hier mal so blasphemisch, dieses Dogma in Frage zu stellen. Ich finde, es ist in Ordnung, nicht wählen zu gehen. Ich spreche aus eigener Erfahrung: Einmal blieb ich bisher einer Wahl fern, und zwar der Landtagswahl 2015 in der Steiermark. In der Woche vor dem Wahlsonntag ergab es sich, dass ich übers Wochenende wo eingeladen war und deshalb nicht in der Nähe meines Wahllokals gewesen wäre. Da in der Wahlkundmachung auf die Möglichkeit einer vorgezogenen Stimmabgabe am Freitag aufmerksam gemacht wurde, beschloss ich, davon Gebrauch zu machen und keine Wahlkarte zu holen. Vor dem geschlossenen Wahllokal kam ich dann drauf, dass dieses Early Voting am Freitag in der Woche davor gewesen wäre. Damit war die Möglichkeit einer Stimmabgabe dahin. Ich hätte natürlich am Sonntag vorzeitig nach Hause aufbrechen können, um noch rechtzeitig in mein Wahllokal zu kommen. Ich zog es aber vor, einen stressfreien Sonntag am Altausseer See zu verbringen.

Ja, ich habe mich aus Nachlässigkeit an der Demokratie versündigt, aber ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen deswegen. Laut Meinung vieler Zeitgenossen müsste ich dafür aber Buße tun: Da ich bei der letzten Landtagswahl nicht mitgemacht habe, dürfe ich mich nun nicht aufregen, zumindest nicht über die Landespolitik. Gut, mich trifft das nicht wirklich, da ich mich kaum mit der Landespolitik beschäftige, aber ich halte das grundsätzlich für übertrieben. Jeder Mensch hat Meinungen zur Politik. Wir sollten sie nicht danach bemessen, ob die Person beim letzten mal wählen war, sondern, ob die Ansichten insgesamt sinnvoll und brauchbar sind.

Natürlich möchte ich nicht dazu aufrufen, nicht wählen zu gehen. Im Gegenteil, geht wählen, wenn ihr die Möglichkeit habt! Es ist ein sinnvolles Ritual, und es bietet zumindest eine kleine Möglichkeit der Mitbestimmung. Die Auswahl an Listen ist diesmal auch wieder recht groß, dass für alle was dabei sein sollte (Hierbei möchte ich noch einmal auf die Umfrage unter den bundesweit antretenden Listen verweisen). Falls ihr aber aus irgendeinem Grund nicht wählen geht, bin ich der Letzte, der euch verdammt. Egal ob ihr wählen geht oder nicht, wünsche ich allen einen schönen Sonntag!

 


Über Martin Marot-Perz

Als Techniker vom Studium und Beruf her kümmert sich Martin Perz um den Online-Auftritt der Atheistischen Religionsgesellschaft. Als Webmaster ist er gewissermaßen der Hüter der (digitalen) Schlüssel dieser (virtuellen) Hallen hier. Gerne schreibt er aber auch als unabhängiger Denker zu weltanschaulichen Themen, Religion und Philosophie.

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