Für weitblickende und einheitliche Regelungen


Kürzlich hat die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) in scharfer Form unter anderem einige von der aktuellen Regierungskoalition in Aussicht genommene Änderungen des Islamgesetzes als diskriminierend kritisiert. Das österreichische Recht für religiöse (und nichtreligiöse) Weltanschauungen ist tatsächlich schon jetzt nicht völlig frei von sachlich nicht wirklich begründbaren Regelungen, die bevorzugen und benachteiligen.

Im Fall der katholischen Kirche bestimmt der Papst, der ja aus Sicht der Republik Österreich auch Staatsoberhaupt eines anderen Staates ist, sozusagen als absoluter Monarch der Machthaber einer fremden Macht, wer in Österreich katholischer (Erz-) Bischof sein kann und wie lange die jeweilige Amtszeit dauern darf. Die aktuelle Fassung des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich samt Zusatzprotokoll sieht für diese (Erz-) Bischöfe auch weitreichende Befugnisse im Hinblick auf Universitätslehrende vor, z.B. im Artikel 5 § 3: „Die Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten an den vom Staate erhaltenen katholisch-theologischen Fakultäten wird nur nach erfolgter Zustimmung der zuständigen kirchlichen Behörde erfolgen.“ (Ich sage damit nicht, dass ich das gut finde.) Im Gegensatz dazu sieht das aktuelle Islamgesetz (in § 24) keinen ähnlich großen Einfluss islamischer Religionsgesellschaften auf Universitätslehrende vor. Andere Religionsgemeinschaften, z.B. die Israelitische Religionsgesellschaft und die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft, die beide ebenfalls gesetzlich anerkannt sind, haben gar keine eigenständige theologische Ausbildungsmöglichkeit an einer staatlichen Universität in Österreich.

Das aktuelle Islamgesetz bestimmt in seinem § 12 Absatz 2: „Bei der Verpflegung von Mitgliedern der Religionsgesellschaft beim Bundesheer, in Haftanstalten, öffentlichen Krankenanstalten, Versorgungs-, Pflege- oder ähnlichen Anstalten sowie öffentlichen Schulen ist auf die innerreligionsgesellschaftlichen Speisegebote Rücksicht zu nehmen.“ Auch das Israelitengesetz enthält, ebenfalls in § 12 Absatz 2, eine sinngemäß gleiche Regelung. Im Gegensatz dazu gibt es beispielsweise für Atheist*(inn)en, die aus eigenem Entschluss z.B. vegetarisch oder vegan leben wollen, derzeit weit und breit keine solche gesetzliche (Schutz-) Regelung.

Erstrebenswert: sehr gut überlegte einheitliche Kriterien

Aus meiner Sicht wären hier insgesamt weltoffene und weitblickende einheitliche Regelungen mit möglichst gut überlegten, einheitlichen Kriterien, die dann auch wirklich für alle gelten können und gelten, sehr, sehr erstrebenswert. Der Begriff „Religion“ gilt im österreichischen Recht als ein sogenannter unbestimmter Gesetzesbegriff (vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht 2003, 2; vgl. Potz/Schinkele, Religion and Law in Austria 2016, 52). Ein unbestimmter Gesetzesbegriff, so der Verwaltungsgerichtshof, „ist nach den Maßstäben und Wertvorstellungen auszulegen, die sich in dem betreffenden Lebensbereich und Sachbereich herausgebildet haben“ (VwGH 19.12.2006, 2002/03/0236, Rechtssatz 1). Zu diesen zählt wohl auch die EU-Richtlinie 2011/95/EU, die als Neufassung die Richtlinie 2004/83/EG fortführt und im Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b klar sagt: „der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen“ (vgl. altgriechisch átheos = „ohne Gott“; vgl. Apfalter, Griechische Terminologie 2019, 105). Diese EU-Richtlinie ist in Österreich bereits unmittelbar anwendbares Recht (vgl. z.B. VwGH 3.7.2020, Ra 2019/14/0608, Rechtssatz 2, und VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, Rechtssatz 1). Wir können auch noch einen Schritt weiter gehen und uns fragen, ob es überhaupt sachlich ausreichend begründbar ist, zwischen Religion und Nichtreligion zu unterscheiden und diese Unterscheidung dann mit durchaus erheblichen Rechtsfolgen zu verbinden. All das kann nun in einem bereits konkret anhängigen Verfahren aufs Tapet kommen.

Wirklich für alle, also auch für Atheist*(inn)en

Die Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) hat am 30. Dezember 2019 einen Antrag auf staatliche Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft nach dem Bekenntnisgemeinschaftengesetz beim Kultusamt im Bundeskanzleramt der Republik Österreich gestellt. Dieser Antrag wurde vom Kultusamt per Bescheid abgewiesen, woraufhin die ARG am 1. Dezember 2020 innerhalb offener Rechtsmittelfrist eine Bescheidbeschwerde gegen den abweisenden Bescheid des Kultusamts erhoben hat. Im Kern geht es dabei um die Frage, was im aktuellen Religionsrecht eine Religion und was ganz konkret eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft im Sinne des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes ist, und zwar besonders vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit und der staatlichen Neutralität in religiösen Fragen. Das Kultusamt hat die Bescheidbeschwerde mitsamt Beilagen (darunter auch eine Stellungnahme des Wiener Religionswissenschaftsprofessors Hans Gerald Hödl von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien) und Verwaltungsakten am 14. Jänner 2021 dem zuständigen Verwaltungsgericht übermittelt. Eine Beschwerdevorentscheidung hat das Kultusamt nicht erlassen. Das bedeutet, dass nun das Gericht entscheiden wird. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde von der ARG bereits beantragt.

Religionsneutrale Rechtsanwendung

Das zuständige Gericht, also zunächst einmal das Verwaltungsgericht Wien, hat angesichts einer in Österreich faktisch vorhandenen religiösen Vielfalt die historische Chance, bei seinem Einsatz für eine religionsneutrale Rechtsanwendung einer weltoffenen und weitblickenden Auslegung des staatlichen Religionsrechts zum Durchbruch zu verhelfen. Die Religionsfreiheit, der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz und die Verpflichtung zur religiösen Neutralität staatlichen Handelns schützen alle gleichermaßen. Ich bin ziemlich optimistisch, dass wir in Österreich letzten Endes eine durch (höchst-) gerichtliche Entscheidung bewirkte sehr deutliche Stärkung der Gleichberechtigung von theistischen, nichttheistischen und atheistischen Überzeugungen erreichen werden.

Wilfried Apfalter ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG, atheistisch.at) und Mitglied im interreligiösen Dialogforum Ethik der Initiative Weltethos Österreich (IWEO)


Über Wilfried Apfalter

Ich halte unsere Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) für ein in mehrfacher Hinsicht sehr spannendes Projekt und bin fasziniert von dem, was alles möglich ist bzw. sein wird.

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