Religionskritik 1


Eine Religionskritik, die ihrem Namen gerecht wird, hat es immer mit Religion(en) und Kritik zu tun. Sie besteht nicht nur darin, negative Seiten von Religion(en) wahrzunehmen und darzulegen. Wirklich „kritische“ Religionskritik bemüht sich um einen ernsthaften, weltoffenen und möglichst realistischen Blick auf Religion(en). Sie ist daher auch in der Lage, positive Seiten von Religion(en) wahrzunehmen und darzulegen.

Das Wort „Kritik“ hat von seiner Wortbildung her etwas mit „Trennen/Unterscheiden“ zu tun (vgl. altgriechisch kríno „ich trenne, unterscheide, entscheide“ mit Wurzel kri- und Infix -n-, vgl. altgriechisch krités „Unterscheider/Entscheider, Richter“ mit Suffix -tes, vgl. altgriechisch kritikós „zum Unterscheiden/Entscheiden/Beurteilen gehörig/fähig“ mit Suffix -ikos).1 Dieses Unterscheiden setzt ein entsprechendes Wahrnehmen voraus. Wirklich kritische, also genau unterscheidende Religionskritik ist optimalerweise auch über den aktuellen Stand religionswissenschaftlichen Wissens informiert. Das wird leider nicht immer erreicht. Und leider haben auch mitunter Viele vergleichsweise unkritische, unter Umständen auch sehr verzerrte Vorstellungen von Religion(en).

Als Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) betrachten wir Religion unter anderem auch als kulturellen Raum, in dem existenzielle Fragen gestellt werden können und entsprechende Antwortversuche erarbeitet werden können. Wir sehen also auch ein positives Potenzial von Religion. Daraus ergibt sich unser Selbstanspruch, eine „bessere“ Alternative zu bestehenden Religionen zu entwickeln und praktisch zu verwirklichen. Wir versuchen, diesem Selbstanspruch zunehmend gerecht zu werden. Das tun wir hoffentlich auch zum Wohle vieler Andersdenkender, die im Rahmen ihrer Religionsfreiheit vielleicht ganz andere religiöse Überzeugungen vertreten.

Religionskritik lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven heraus verwirklichen; genau das kann erfreulicherweise dabei helfen, ein unvollständiges und verzerrtes, unrealistisches Bild von Religion(en) zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund laden wir sehr gerne alle – also natürlich auch alle Religionsgemeinschaften – zu einem ernsthaften, weltoffenen und möglichst realistischen Blick auf Religion(en) und auf Kritik ein.

1 Vgl. z.B. Wilfried Apfalter (2019), Griechische Terminologie. Einführung und Grundwissen für das Philosophiestudium, Freiburg / München: Alber.

Wilfried Apfalter ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)


Über Wilfried Apfalter

Ich halte unsere Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) für ein in mehrfacher Hinsicht sehr spannendes Projekt und bin fasziniert von dem, was alles möglich ist bzw. sein wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ein Gedanke zu “Religionskritik

  • Hans Peter Radauer

    Religion – “Opium des Volkes” Dieser bekannten und oftmals falsch zitierten Einschätzung von Religion (Karl Marx) möchte ich gerne meine persönliche Einschätzung hinzufügen:
    Sogenannte religionskritische Schnellschüsse, dass Religion nach K.Marx “Opium für das Volk” sei, sind als Zitat falsch und manchmal peinlich für jene, die im kritischen Religionen-Diskurs letzteres, quasi wissend und überzeugt anführen. Ich selbst war als “Falschzitierender” schon einmal peinlich Betroffener, auch weil ich damals zu keiner Erklärung für meine Fehleinschätzung finden konnte.

    Da wir als ARG definitiv dafür kämpfen, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden, ist der Diskurs: “Religion für das Volk” oder “Religion des Volkes”, durchaus sinnvoll und berechtigt. Jedenfalls ist dieser nicht durch die korrekte Zitierung von Marx zu beenden.
    Ich versteige mich hoffentlich nicht, wenn ich behaupte: Hier irrte Marx! Dies deshalb, da er lediglich einen Teilaspekt der Bedeutung von Religion festhielt.
    Ich behaupte Religion – wenn Menschen sie selbstständig als seeligmachende Droge/Medizin verstehen, kann man/frau in übertragenem Sinn – auch wissenschaftlich gelten lassen. “Relgio” also das Bedürfniss nach Rückbesinnung hat er richtig als jedem Menschen innewohnend beschrieben. Dass gerade Marx die Dimension von Machtmissbrauch in gesellschaftspolitischen Zusammenhängen nicht in seiner Definition von Religion einfügte, ist für mich hinterfragungswürdig.
    Also Charly:
    Wenn schon Religion als Droge, dann “des” UND im Kontext machtpolitischem Missbrauchs auch “für das Volk”.
    Das hättest du uns schon vor W.I. Lenin und nach deiner eigenen Zwangschristianisierung offenbaren können.
    OK, an die Möglichkeit einer atheistischen Religion hattest du nicht gedacht – nicht denken können? Auch du ein Kind deiner Zeit!