Zum Gerichtsgutachten für das Verwaltungsgericht Wien


Aktuell warten wir schon sehr neugierig auf das weitere Vorgehen bzw. die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH). Zur Überbrückung dieser Wartezeit in unserem – durchaus komplexen – Verfahren bieten wir hier ein paar Beobachtungen und Gedanken zu einem Gerichtsgutachten, das auf der vorhergehenden verwaltungsgerichtlichen Ebene vom Gericht in unser Verfahren eingebracht worden ist.

1. Im Rahmen eines von der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) in die Wege geleiteten Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien (VGW) gegen einen Bescheid des Bundeskanzleramts/Kultusamts (s. Dokument 1, Seiten 2-15) hat ein vom Gericht bestellter nichtamtlicher Sachverständiger (s. Nr. 7) ein Gerichtsgutachten (s. Dokument 1, Seiten 87-114) verfasst und 2022 fertiggestellt, gemeinsam mit einer Mitautorin; beide sind rechtswissenschaftliche Fachleute. Am 12. Mai 2022 hat dann eine mündliche Gerichtsverhandlung (s. Dokument 1, Seiten 127-132) stattgefunden, an der auch der Sachverständige teilgenommen hat. Das Gericht hat schließlich am 1. Juni 2022 zuungunsten der ARG entschieden (s. Dokument 1, Seite 1). Derzeit (Februar 2024) ist zu dieser Gerichtsentscheidung eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH), dem verwaltungsrechtlichen Höchstgericht in Österreich, anhängig (s. auch Nr. 4).

2. Unseres Erachtens soll das behördliche oder gerichtliche Zurückgreifen auf die Expertise von Sachverständigen ganz grundsätzlich der Sicherstellung einer unbefangen-sachkundigen Unterstützung des zuständigen Entscheidungsorgans dienen. Von einem Sachverständigen darf erwartet werden, dass er zu einer unbefangenen und sachlich kompetenten inhaltlichen Erfüllung des Gutachtensauftrags ernsthaft bereit und tatsächlich befähigt ist. Dementsprechend muss wohl immer die umfassende Fülle des sachgerechten Könnens eines Sachverständigen die Grundlage seiner Tätigkeit als Sachverständiger sein.

3. Das Gutachten eines Sachverständigen ist daher immer auch gewissermaßen eine Kostprobe seines sachgerechten Könnens; im Falle eines Wissenschaftlers: seiner wissenschaftlichen Sachkunde usw. und seiner wissenschaftlichen Integrität. Unseres Erachtens kommt es dabei im Sinne guter wissenschaftlicher Praxis weniger darauf an, wer etwas sagt, sondern vielmehr darauf, wie jemand vorgeht bzw. argumentiert. Von einem Sachverständigen darf so gesehen erwartet werden, dass er zu den Fragen, die ihm aufgrund seiner Expertise gestellt wurden, inhaltlich tragfähige und nachvollziehbare Antworten entwickelt und dabei auch die Grenzen seiner Expertise gegebenenfalls transparent offenlegt. Ebenso darf von einem wissenschaftlich tätigen Sachverständigen erwartet werden, was auch von allen Studierenden und überhaupt von jedem wissenschaftlichen Vorgehen erwartet werden darf: dass zentrale Ergebnisse bzw. Aussagen bzw. Feststellungen auch intersubjektiv nachvollziehbar begründet werden. Bei einem Gerichtsgutachten ist das im Hinblick auf den staatlichen Anspruch der Ermittlung materieller Wahrheit noch einmal verschärft, da geht es um die Unterstützung für ein hoheitliches Handeln des Staates; was das ganz konkret bedeuten kann, zeigt sich im RIS-teilanonymisierten VGW-Erkenntnis vom 1.6.2022, in dem wortwörtlich zu lesen ist (Dokument 1, Seite 137): „Bei Zugrundelegung dieser sachverständigen Feststellungen und die umfassende Belegung dieser Feststelllung [sic!] im zuvor wiedergegebenen Gutachten ist daher mit dem seitens der belangten Behörde bestellten Amtssachverständigen davon auszugehen, dass dass [sic!] die von der Antragstellerin in ihren Statuten dargestellte „Religionslehre“ nicht geeignet ist, die Lehre einer Religionsgemeinschaft im rechtlichen Sinn darzulegen.“

4. Im Gerichtsgutachten äußert sich der nichtamtliche Sachverständige zur Rechtsfrage, ob es sich bei der ARG um eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft im Sinne des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes handelt (s. Dokument 1, Seite 110 oben; auch das Bundeskanzleramt/Kultusamt hat diese Frage als Rechtsfrage bezeichnet, s. Dokument 1, Seite 12 [unter 3.2.5.1]). Der nichtamtliche Sachverständige äußert sich damit zu einer Frage, die ihm das Gericht im Gutachtensauftrag (s. Nr. 20) gar nicht gestellt hat. Er hat damit seinen gerichtlichen Gutachtensauftrag klar verlassen und dessen Grenzen klar überschritten. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich (VwGH 14.01.1993 92/09/0201 RS 3 und z.B. VwGH 19.06.2018 Ra 2018/03/0023 RS 6): „Die Mitwirkung bei der Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes durch den Sachverständigen besteht darin, dass er Tatsachen erhebt (Befund) und aus diesen Tatsachen auf Grund besonderer Fachkundigkeit Schlussfolgerungen zieht (Gutachten). Der Sachverständige hat somit Tatsachen klarzustellen und auf Grund seiner Sachkenntnisse deren allfällige Ursachen oder Wirkungen festzustellen; er muß aber immer im Bereich der Tatsachen bleiben und darf nicht Rechtsfragen lösen.“ Ebenso ergibt sich aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (VwGH 16.10.2019 Ro 2019/02/0009 RS 1 und z.B. VwGH 21.11.2022 Ro 2022/12/0013 RS 5): „Rechtsfragen sind stets durch die erkennende Behörde bzw. das erkennende Gericht zu beantworten. Einem Sachverständigen kommt keinesfalls die Lösung von Rechtsfragen zu und er darf auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen.“ Vor diesem Hintergrund hat der nichtamtliche Sachverständige der höchstgerichtlichen verfahrensrechtlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes offenkundig zuwidergehandelt. Gleichzeitig hat er nicht dargelegt, wie er das begründet bzw. warum er das für erforderlich erachtet.

5. Dieses Sachverständigensystem wird durch das vorliegende Gerichtsgutachten (vgl. Dokument 1, Seiten 87-114) inhaltlich unterlaufen. Dieses Gerichtsgutachten überschreitet den Bereich des Gutachtensauftrags sehr deutlich in Richtung einer Stellungnahme zum Fall der ARG, und gleichzeitig entzieht es sich in für das Ergebnis relevanten Punkten einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit seitens der ARG ins Verfahren eingebrachten Inhalten (siehe weiter unten). Wissenschaftliches Vorgehen lebt sehr von Nachvollziehbarkeit und damit verbunden ganz besonders auch von wissenschaftlicher Integrität. Wissenschaftliche Integrität ist für eine Sachverständigentätigkeit von Wissenschaftler:innen sehr relevant. Die sorgfältige Gesamtschau aller Details ergibt unseres Erachtens ein Gesamtbild, das den konkreten Verdacht deutlicher Verletzungen guter wissenschaftlicher Praxis und damit auch fundierte Zweifel an der wissenschaftlichen Integrität des Tuns und Unterlassens des nichtamtlichen Sachverständigen (und seiner Mitautorin) begründet.

6. Der nichtamtliche Sachverständige wurde vom Gericht nicht als Orakel bestellt, das nicht(s) begründen muss. Er wurde vielmehr wohl aufgrund seiner wissenschaftlichen Expertise als nichtamtlicher Sachverständiger bestellt und mit der Erstellung von Befund und Gutachten beauftragt (s. auch Nr. 7 und Nr. 20). Das Gericht hat ihm eine Fragestellung aus drei Fragen gestellt und die Erstellung von Befund und Gutachten (und damit die Beantwortung der drei Fragen) aufgetragen (s. Nr. 20). Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch kurz angemerkt, dass hier das Gericht entgegen dem Grundsatz, dass das Gericht die Gesetze kennt („iura novit curia“), de facto ein Rechtsgutachten über österreichisches Recht beauftragt hat.

7. Der nichtamtliche Sachverständige wurde am 3. Mai 2021 mit Gerichtsbeschluss als nichtamtlicher Sachverständiger bestellt. Mit diesem Beschluss wurde ihm die Erstellung seines Gerichtsgutachtens „bis zum 1.9.2021“ aufgetragen. Die Gutachtenerstellung hat dann anstelle von knapp vier Monaten fast ein ganzes Jahr gedauert. Das Gerichtsgutachten ist undatiert und wurde der ARG per Post am 2. Mai 2022 zugestellt, gemeinsam mit der gerichtlichen Ladung zu einer auf den 12. Mai 2022 festgesetzten Gerichtsverhandlung (die dann auch tatsächlich am 12. Mai 2022 stattgefunden hat, vgl. Dokument 1, Seite 127). Das Gerichtsgutachten enthält keine Angaben zum Zeitraum seiner Erstellung. Ebenso enthält es weder eine Erwähnung noch eine Begründung der Tatsache, dass es erst deutlich nach dem 1.9.2021 fertiggestellt worden ist.

8. Der nichtamtliche Sachverständige hat für dieses Gerichtsgutachten einen Betrag in der Höhe von 3.945,- Euro verrechnet (s. Dokument 1, Seite 2; s. auch Nr. 18).

9. Das Gerichtsgutachten enthält unvollständige Quellenangaben, die das kritische Nachvollziehen erschweren. Das betrifft z.B. die Lehre der ARG (im Gerichtsgutachten z.B. im Punkt 5.2.1 erwähnt, s. Dokument 1, Seiten 105-106) und die Bescheidbeschwerde (im Gerichtsgutachten z.B. im Punkt 5.4.5 erwähnt, s. Dokument 1, Seite 109 Mitte).

10. Die dem nichtamtlichen Sachverständigen seitens des Gerichts „zur Verfügung gestellten Gerichtsakten“ (Dokument 1, Seite 88) werden im Gerichtsgutachten nicht näher aufgeschlüsselt. Daher bleibt unklar, auf welcher konkreten Textgrundlage das Gerichtsgutachten basiert und welche Texte dem nichtamtlichen Sachverständigen gerichtlicherseits zur Verfügung gestellt worden sind. Eine ausführliche zweite Stellungnahme eines Univ.-Prof. für Religionswissenschaft (s. Nr. 13) wurde dem Sachverständigen durch das Gericht erst direkt vor der Verhandlung am 12.5.2022 zugänglich gemacht. Es scheint aber immerhin so zu sein, dass das Gerichtsgutachten mit der Bescheidbeschwerde vor Augen erarbeitet worden ist (s. z.B. Nr. 18).

11. Die ARG hat im Punkt 1 ihrer Stellungnahme zum Gerichtsgutachten „einen einseitig selektiven Zugriff auf Dokumente des bisherigen Verfahrens“ (Dokument 1, Seite 115 Mitte) festgestellt und diese Feststellung auch mit entsprechenden Nachweisen (s. Dokument 1, Seite 115 weiter unten) begründet.

12. Das Gerichtsgutachten enthält keinen Hinweis auf den durch die ARG dem VGW am 10.1.2022 übermittelten Transzendenztext (vgl. Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4). Dennoch ist im RIS-teilanonymisierten VGW-Erkenntnis vom 1.6.2022 als Aussage des nichtamtlichen Sachverständigen aus der Verhandlung vom 12.5.2022 zu lesen (Dokument 1, Seite 130): „Der von der Beschwerdeführerin vorgelegte Text zur Transzendenz war Gegenstand meiner Beurteilung.“ Mangels näherer Angaben bleibt unklar, wo und wie diese Beurteilung im Gerichtsgutachten zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig nimmt das Gerichtsgutachten auf einen Text (Brigitte Schinkele [2020], Ist die „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ eine Religionsgemeinschaft bzw ihre „Lehre“ eine Religion? öarr [österreichisches Archiv für recht & religion] 67/1, 2020, 1-45, hier Seite 37 oben) Bezug, in dem sich die Autorin zur ARG äußert, „bezüglich der sich allerdings [Anm.: nach Ansicht der Autorin] im Hinblick auf deren [Anm.: also der ARG] Selbstverständnis eine schwierige Abgrenzungsfrage insoweit nicht stellt, als Aspekte einer allfälligen Transzendenz darin nicht zu erkennen sind.“ Dieser Text bietet keine Begründung für die in ihm enthaltene Feststellung, dass „Aspekte einer […] Transzendenz“ in der Lehre der ARG „nicht zu erkennen“ seien. Das betrifft aber einen ergebnisrelevanten Punkt des Gerichtsgutachtens. Bei einer unbefangenen und gleichzeitig sachlich kompetenten Herangehensweise liegt es nahe, im Gerichtsgutachten auf diesen inhaltlich wichtigen Punkt sorgfältig einzugehen. Das wird im Gerichtsgutachten aber nicht geleistet.

13. Das Gerichtsgutachten lässt wenig bis gar keine argumentative Auseinandersetzung mit den z.B. im Dokument 2 und in zwei Stellungnahmen eines Univ.-Prof. für Religionswissenschaft (s. Dokument 1, Seiten 35-39 bzw. 62-66 und Seite 81) dargelegten – und verglichen mit den im Gerichtsgutachten vertretenen Einschätzungen anderslautenden – Einschätzungen bzw. Feststellungen erkennen.

14. Im Gerichtsgutachten ist zu lesen (s. Dokument 1, Seite 98 Mitte): „Bei der Einordnung der Bestimmung des Art 10 Status-RL [Anm.: also des Artikels 10 der Status-Richtlinie] ist der asylrechtliche Hintergrund zu beachten. Wenn der VwGH darauf bezugnehmend festhält, dass der hier angesprochene Begriff „Religion“ auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst, sodass auch solche Überzeugungen zur Gewährung von Asyl aus Gründen der Religion führen können, so bedeutet dies – wie bereits erwähnt – nicht, dass die Ausübung einer atheistischen, agnostischen bzw dem Thema „Religion“ gegenüber indifferenten Überzeugung durch den Schutz der „negativen“ Religionsfreiheit – positiv ausgedrückt durch den Schutz der nicht-religiösen Weltanschauungsfreiheit – selbst zur Religionsausübung bzw diese Überzeugung zur Religion würde. Insofern ist die Entscheidung des BVwG [Anm.: also des Bundesverwaltungsgerichts] missverständlich, wenn es im Zuge eines Asylverfahrens in Bezug auf ein Mitglied der ARG von einer „glaubhaften religiösen Haltung“ spricht.“ Nota bene: Die ARG beansprucht nicht, „dass die Ausübung einer atheistischen, agnostischen bzw dem Thema „Religion“ gegenüber indifferenten Überzeugung durch den Schutz der „negativen“ Religionsfreiheit – positiv ausgedrückt durch den Schutz der nicht-religiösen Weltanschauungsfreiheit – selbst zur Religionsausübung bzw diese Überzeugung zur Religion würde.“ Sehr wohl allerdings beansprucht die ARG, dass ihr konkreter Fall sorgfältig wahrgenommen und inhaltlich korrekt eingeordnet werden möge (s. z.B. Dokument 1, Seiten 17-19, s. auch Dokument 2, vgl. Dokument 1, Seiten 43-62; s. dazu z.B. Nr. 12, Nr. 13, Nr. 16, Nr. 18, Nr. 21, Nr. 22, Nr. 25, Nr. 28, Nr. 29, Nr. 30 und Nr. 31).

15. Im Gerichtsgutachten bleibt unklar, was genau im Gerichtsgutachten mit „gemeinsame/gemeinschaftliche religiöse Erhebung oder gleichartige religiöse Betätigung“ (s. Dokument 1, Seite 103 unten; s. dazu auch Punkt 20 der Stellungnahme der ARG zum Gerichtsgutachten = Dokument 1, Seite 125) gemeint ist. Bezieht sich hier „gleichartige“ auf die davor genannte „gemeinsame/gemeinschaftliche religiöse Erhebung“ und/oder auf die danach genannte „religiöse Betätigung“? Wenn es sich nur auf die „religiöse Betätigung“ bezieht, dann ist damit impliziert, dass eine „gemeinsame/gemeinschaftliche religiöse Erhebung“ für eine „Vereinigung von Anhängern einer Religion“ nicht zwingend erforderlich ist (siehe dazu auch Punkt 18 der Stellungnahme der ARG zum Gerichtsgutachten = Dokument 1, Seite 103 unten). Auch der Gerichtsverhandlung (s. Dokument 1, Seiten 127-132) lässt sich keine diesbezügliche Klärung entnehmen.

16. Ein Blick darauf, womit sich das Gerichtsgutachten beschäftigt hat und womit es sich nicht beschäftigt hat, macht rasch klar, dass es sich um kein unvoreingenommenes Gerichtsgutachten handeln kann. Einige vom Gericht nicht gestellte Fragen hat das Gerichtsgutachten selbst gestellt und beantwortet, nämlich Fragen zur ARG (s. auch Nr. 4). Die im Kontext des konkreten Verfahrens der ARG naheliegende Frage, ob eine atheistische Religion grundsätzlich möglich ist, hat das Gerichtsgutachten hingegen weder gestellt noch beantwortet. Die ausführliche Argumentation in einem JLRS-Artikel (s. Dokument 2, vgl. Dokument 1, Seiten 43-62), einer in das Verfahren eingebrachten internationalen wissenschaftlichen Publikation zum konkreten Fall der ARG, hat das Gerichtsgutachten völlig ignoriert, obwohl der JLRS-Artikel einen doppelt verblindeten Peer-Review-Prozess durchlaufen hat, was auf das Gerichtsgutachten selber nicht zutrifft. Ein solches Ignorieren ist kein Zeichen einer Bereitschaft zur wissenschaftlichen, inhaltlichen, argumentativen Auseinandersetzung. Um es ganz deutlich zu sagen: Das Gerichtsgutachten bietet keine Auseinandersetzung mit dem, was im JLRS-Artikel dargelegt worden ist.

17. Die ARG hat im Punkt 2 ihrer Stellungnahme zum Gerichtsgutachten in diesem „keine einzige Erwägung [Anm.: des nichtamtlichen Sachverständigen] zugunsten der Möglichkeit einer atheistischen Religion“ festgestellt (s. Dokument 1, Seite 115 unten). Die Frage, ob eine atheistische Religion möglich ist, ist aber – vermutlich für jeden leicht erkennbar – ein wirklich zentraler inhaltlicher Punkt im Verfahren der ARG (vgl. Nr. 16). Wenn sich also das Gerichtsgutachten zur ARG äußert (s. Nr. 4), dann stellt sich die Frage, warum es sich nicht auch dazu äußert, ob eine atheistische Religion grundsätzlich möglich ist (s. Nr. 16 und Nr. 31). Siehe dazu auch z.B. die Punkte 4 und 5 der Stellungnahme der ARG zum Gerichtsgutachten (s. Dokument 1, Seiten 116-118).

18. Ein lupenreines Vollplagiat in Gestalt eines Zitats ohne Zitierung hat die ARG im Punkt 19 ihrer Stellungnahme zum Gerichtsgutachten (s. Dokument 1, Seite 125) dargelegt: „Zur Gänze hat das Gerichtsgutachten z.B. den Text in [seiner] Fußnote 1 auf Seite 4 [s. Dokument 1, Seite 88 Fußnote 1] aus der Bescheidbeschwerde (Punkt A.2.1, [auf deren Seite] 6 [s. Dokument 1, Seite 19 Mitte]) übernommen, ohne diesen zur Gänze übernommenen Satz als Zitat auszuweisen: „Ein unbestimmter Gesetzesbegriff, so der Verwaltungsgerichtshof, „ist nach den Maßstäben und Wertvorstellungen auszulegen, die sich in dem betreffenden Lebensbereich und Sachbereich herausgebildet haben“ (VwGH 19.12.2006, 2002/03/0236, Rechtssatz 1).““ Ein „Fair Use“ dieses zur Gänze übernommenen Satzes durch den nichtamtlichen Sachverständigen ist im konkreten Fall völlig ausgeschlossen: Der nichtamtliche Sachverständige hat für das Gerichtsgutachten ein Honorar in der Höhe von EUR 3.945,- verrechnet (s. Nr. 8), und diese Kosten wären zur Gänze von der ARG zu tragen gewesen (s. Dokument 1, Seiten 1-2), hätte die ARG nicht noch rechtzeitig nach der Honorarlegung Verfahrenshilfe beantragt und bezüglich dieser Kosten auch bewilligt bekommen.

19. Das Gerichtsgutachten bietet auch ein weiteres Plagiat in Gestalt eines Zitats ohne Zitierung, wobei die Zitat-Quelle als solche wiederum nicht in einem Gerichtsaktenverzeichnis (s. Nr. 10) und auch nicht im Literaturverzeichnis des Gerichtsgutachtens (s. Dokument 1, Seiten 113-114) aufgelistet ist (Dokument 1, Seite 106): „Ein Bezug auf Unerfassbares im Sinne von Gottheiten wird in den Rahmen der Kulturgeschichte eingebettet. Auf Gottheiten wird also Bezug genommen, wenn dargelegt wird, dass nicht an ihre von Menschen unabhängige Existenz als eigenständige   Akteure geglaubt wird. Der Bezug zwischen Menschen, Welt und Gottheiten wird durch die ARG ganz grundlegend in der Kultur verortet, also einem spezifischen Phänomen menschlichen Ursprungs.“ Vgl. Bescheidbeschwerde (Punkt B.1.1.1, s. Dokument 1, Seiten 21-22): „Diese Gottheiten werden in den Rahmen der Kulturgeschichte eingebettet. […] Auf Gottheiten wird auch Bezug genommen, wenn dargelegt wird, dass nicht an ihre von Menschen unabhängige Existenz als eigenständige Akteure geglaubt wird. […] Der Bezug zwischen Menschen, Welt und Gottheiten wird durch die ARG ganz grundlegend in der Kultur verortet.“

20. Im Gerichtsgutachten ist auch der Gutachtensauftrag aus dem (verfahrensleitenden) Beschluss des VGW vom 3.5.2021 (s. Dokument 1, Seite 87) als Text zur Gänze übernommen worden, ohne diesen zur Gänze übernommenen Text als wörtliches Zitat auszuweisen (Dokument 7, Seite 88): „1. Welcher Religionsbegriff liegt dem BekGG zugrunde? Ausgehend davon, dass es sich bei „Religion“ um einen unbestimmten Gesetzesbegriff handelt, stellt sich die Frage, wie dieser rechtlich erfasst werden kann und inwieweit dabei religionswissenschaftliche bzw religionssoziologische Aspekte mit herangezogen werden können. 2. Wie können „Religion“ und „Weltanschauung“ voneinander abgegrenzt werden, und welche Bedeutung kommt idZ dem Kriterium der Transzendenz zu? 3. Wird das BekGG einem umfassenden Schutz des Grundrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit gerecht [Anm.: an dieser Stelle folgt im Beschluss des VGW ein Beistrich] oder ist es als verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen und daher ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers gegeben?“

21. Das Gerichtsgutachten enthält eine zuungunsten der ARG deutlich sinnverändernde Verkürzung durch eine nur teilweise Wiedergabe bzw. Zitierung eines Textes der ARG. Im Punkt 19 ihrer Stellungnahme zum Gerichtsgutachten sagt die ARG (s. Dokument 1, Seite 124 unten): „Die Bescheidbeschwerde sagt im Punkt B.1.5 auf Seite 18 [s. Dokument 1, Seite 28] sehr klar: „Unsere religiöse Bekenntnisgemeinschaft wird ganz besonders durch dieses gemeinsame spezifische religiöse Bekenntnis aller Mitglieder geistig mitgetragen; sie lebt als Bekenntnisgemeinschaft geradezu von diesem gemeinsamen Bekenntnis ihrer Mitglieder.“ Das wird im Gerichtsgutachten (im Punkt 5.4.2 [s. Dokument 1, Seite 107]) sinnverändernd verkürzt zu: „Dazu wird [Anm.: durch die ARG] ausgeführt […], dass „dieses gemeinsame spezifische religiöse Bekenntnis aller Mitglieder geistig mitgetragen“ wird.““ Die Ausführung der ARG, dass die Bekenntnisgemeinschaft durch ein gemeinsames Bekenntnis aller Mitglieder geistig mitgetragen wird, unterscheidet sich inhaltlich sehr deutlich von der Feststellung im Gerichtsgutachten (zur Ausführung der ARG), dass (angeblich gemäß Ausführung der ARG) ein gemeinsames Bekenntnis aller Mitglieder geistig mitgetragen wird. Laut ARG geschieht es der Bekenntnisgemeinschaft (als Subjekt), dass sie durch das jeweilige Bekenntnis aller Mitglieder mitgetragen wird, laut Gerichtsgutachten hingegen geschieht es entsprechend der (teilweise wörtlich zitierten) Ausführung der ARG dem Bekenntnis (als Subjekt), dass es – im Gerichtsgutachten bleibt unklar, wodurch – mitgetragen wird. In der Darstellung der Ausführung der ARG durch das Gerichtsgutachten wechselt also das Subjekt von „Bekenntnisgemeinschaft“ zu „Bekenntnis“, wodurch sich ein deutlich anderer Inhalt der im Gerichtsgutachten referierten Ausführung der ARG ergibt. Unseres Erachtens wird damit das Gerichtsgutachten dem Inhalt der Ausführung der ARG nicht gerecht.

22. Das Gerichtsgutachten stellt sinngemäß fest, dass die Transzendenzbezüge der ARG „deutlich nicht“ die für eine Religion „erforderliche Gesamtintensität“ erreichen (s. Dokument 1, Seite 110 oben). An diesem für das Ergebnis sehr zentralen argumentativen Punkt liegt natürlich die Frage nahe, wie das festgestellt wurde und welche (Transzendenzbezugs-) Intensität für das Vorliegen einer Religion erforderlich ist (siehe dazu Punkt 7 der Stellungnahme der ARG zum Gerichtsgutachten [s. Dokument 1, Seiten 118-119]). Darauf geht das Gerichtsgutachten nicht ein. Damit bleibt die Feststellung des Gerichtsgutachtens zur nach Ansicht des nichtamtlichen Sachverständigen mangelhaften Gesamtintensität ohne nachvollziehbare und überprüfbare Begründung und daher unvollständig. Zum Transzendenzbezug der ARG siehe besonders die Punkte 8, 9, 13 und 15 der Stellungnahme der ARG zum Gerichtsgutachten (s. Dokument 1, Seiten 119-120, 121-122 und 123). In der Bescheidbeschwerde wird eine religiös neutrale Bescheidbegründung angesprochen. Im Gerichtsgutachten ist zu lesen (Dokument 1, Seite 89 oben): „Auszugehen ist jedenfalls von einem offenen, wertneutralen, von konfessionell geprägten Gesichtspunkten losgelösten Religionsbegriff.“ Allerdings hat das Gerichtsgutachten selber keinen im Detail religiös neutralen und inhaltlich ausreichend argumentativ begründeten Religionsbegriff dargelegt und angewendet. Wörtlich heißt es im Gerichtsgutachten (Dokument 1, Seite 110 oben): „Die Kriterien einer Religion im Rechtssinn, die auch Voraussetzung für die Eintragung einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft sind und als Typenelemente eines beweglichen Systems vorhanden sein müssen, erreichen deutlich nicht die dafür erforderliche Gesamtintensität.“ Ein solches Nichterreichen wird ohne nachvollziehbare Begründung im Gerichtsgutachten einfach behauptet. Das Gerichtsgutachten legt nicht dar, auf Grundlage welcher sachlich oder rechtlich zwingender Erwägungen es zu diesem Ergebnis gelangt ist. Es liegt nahe, dass diese Feststellung des Gerichtsgutachtens schon aus logischen Gründen nur dann eine Relevanz für das Ergebnis haben kann, wenn nachvollziehbar und inhaltlich tragfähig dargelegt wird, welche Gesamtintensität im Fall der ARG konkret erreicht wurde und welcher Schwellenwert einer Gesamtintensität grundsätzlich erreicht werden muss, um von einer Religion im Rechtssinn sprechen zu können. Der Sachverständige hat aber im Verfahren (Gerichtsgutachten, mündliche Verhandlung) weder dargelegt, welche Gesamtintensität im Fall der ARG konkret erreicht wurde, noch hat er im Verfahren (Gerichtsgutachten, mündliche Verhandlung) dargelegt, welcher Schwellenwert einer Gesamtintensität grundsätzlich erreicht werden muss, um es dem Sachverständigen seiner Ansicht nach zu ermöglichen, von „einer Religion im Rechtssinn“ zu sprechen. Im Gerichtsgutachten ist zu lesen (Dokument 1, Seite 105): „Die vorläufige Transzendenz findet sich in den ARG-Statuten, wenn es heißt [Anm.: es folgt nun ein Zitat aus § 2 Absatz 4 der ARG-Statuten]: ‚Wir erkennen an, dass es vieles gibt, was jeweils jenseits unseres Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizontes liegt, und können die Wirklichkeit dieses Nicht-Gewussten beziehungsweise Nicht-Erfahrenen auch ohne Letztbegründung akzeptieren. Ebenso erkennen wir an, dass es Erstrebenswertes gibt, das jeweils den Horizont dessen, was wir erreicht haben, übersteigt.‘ Und dann den Gedanken noch verstärkend [Anm.: es folgt nun ein Zitat aus der Bescheidbeschwerde, s. Dokument 1, Seite 23 unten, wobei eine Quellenangabe im Gerichtsgutachten an dieser Stelle zur Gänze unterbleibt; im Gerichtsgutachten ist zwar auf derselben Seite in Fußnote 83 „Vgl. […] zum Folgenden die Beschwerde B.1.1.4“ zu lesen, „B.1.1.4“ ist aber erst der nächste Abschnitt der Beschwerde: „B.1.1.4. Zum Tod“, s. Dokument 1, Seite 23 unten]: ‚In der Aussage, ‚dass es vieles gibt, was jeweils jenseits unseres Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizontes liegt‘, liegt nach Ansicht der Beschwerdeführerin ganz im Gegenteil ein deutlicher Bezug auf das (zumindest jeweils aktuell) ‚Unerfassbare‘ vor.‘“ Im Gerichtsgutachten wird also das, „was jeweils jenseits unseres Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizontes liegt“ (Zitat aus § 2 Absatz 4 der ARG-Statuten), offenbar zur Gänze dem Bereich einer vorläufigen (bzw. kleinen) Transzendenz zugeordnet. Damit wird im Gerichtsgutachten übersehen, dass das, „was jeweils jenseits unseres Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizontes liegt“ (Zitat aus § 2 Absatz 4 der ARG-Statuten), auch andere Bereiche umfasst wie z.B. den, wie es sich z.B. für einen Flugsaurier angefühlt hat, ein Flugsaurier zu sein. Das ist ein Bereich, der wohl nicht nur vorläufig sondern ganz grundsätzlich „jenseits unseres Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizontes liegt“ (Zitat aus § 2 Absatz 4 der ARG-Statuten). Damit geht er aber über eine „vorläufige“ bzw. kleine Transzendenz hinaus; tatsächlich reicht er bis in den Bereich dessen, was der Sachverständige im Gerichtsgutachten selber als „große“ Transzendenz bezeichnet (vgl. Nr. 28). An so ein konkretes Beispiel schon sehr lange ausgestorbener Lebewesen zu denken liegt angesichts der im § 2 Absatz 5 der ARG-Statuten (s. Dokument 1, Seite 71) erwähnten „langen Kette evolutionärer Prozesse“ wirklich nahe. Zumindest für uns und für jemanden, der diese Statuten sorgfältig gelesen und mit uns darüber bzw. über unser eigenes Verständnis unserer im § 2 der ARG-Statuten dargelegten Religionslehre gesprochen hat; der nichtamtliche Sachverständige hat das – warum auch immer – nicht getan.

23. Überhaupt bietet das Gerichtsgutachten mehrfach keine Begründung für eine ergebnisrelevante Feststellung (siehe dazu Punkt 24 der Stellungnahme der ARG zum Gerichtsgutachten = Dokument 1, Seite 127): „[Zitat aus dem Gerichtsgutachten, Punkt 5.2.5 im Dokument 1, s. Dokument 1, Seite 109 Mitte] „Zum einen erscheint es nicht adäquat, iZm mit einer vegetarischen oder veganen Ernährung bzw Lebensweise von einem ‚Ritus‘ zu sprechen […].“ Diese Behauptung bleibt im Gerichtsgutachten ohne Begründung. Warum – aus welchem sachlichen Grund? – erscheint das nicht adäquat? Oder z.B. [Zitat aus dem] Gerichtsgutachten […] [Punkt 5.2.6 im Dokument 1] auf Seite 27 […][s. Dokument 1, Seite 109 unten]: „Nicht sachgerecht erscheint es jedoch von einem ‚pazifistischen Ritus‘ zu sprechen.“ Warum – aus welchem sachlichen Grund? – erscheint das nicht sachgerecht?“ Ebenso völlig begründungslos bleibt z.B. eine weitere Feststellung im Gerichtsgutachten (s. Dokument 1, Seite 107), die einen weiteren ergebnisrelevanten Punkt berührt, nämlich die Frage nach dem Vorliegen einer religiösen Praxis der ARG: „Anhand dieser Formulierungen ist jedoch keine religiöse Praxis festzumachen, und schon gar nicht in einem umfassenden Sinn.“ Warum das nach Einschätzung des nichtamtlichen Sachverständigen so ist, bleibt mangels weiterer Angaben dazu unklar und damit auch inhaltlich nicht nachvollziehbar.

24. Das Gerichtsgutachten bietet ebenso keine Begründung für die folgende ergebnisrelevante Feststellung (s. Dokument 1, Seite 106): „Bei dem im § 2 Abs 1 der ARG-Statuten [s. Dokument 1, Seiten 71-72] dargestellten Teil der Lehre der ARG handelt es sich um eine Perspektive bezüglich religiöser Phänomene, aber um keine eigene religiöse Perspektive.“ Es handelt sich bei dieser Feststellung um eine Feststellung in einem für das Ergebnis sehr relevanten Punkt. Daher liegt es im Sinne guter wissenschaftlicher Praxis nahe, diese Feststellung inhaltlich zu begründen und dabei sorgfältig vorzugehen. Das Gerichtsgutachten enttäuscht diese naheliegende Erwartung. Es bietet in diesem ergebnisrelevanten Punkt weder eine Begründung für die Feststellung noch ein erkennbar sorgfältiges Vorgehen. Mangels weiterer Angaben dazu bleibt unklar und damit auch inhaltlich nicht nachvollziehbar, wie und warum der nichtamtliche Sachverständige zu seiner Einschätzung („keine eigene religiöse Perspektive“) gelangt ist. Das Gerichtsgutachten beschränkt sich (auch) hier auf eine begründungslose, apodiktische Feststellung.

25. Gerichtsgutachten (Dokument 1, Seite 107): „Selbst wenn man im Gegensatz zu dem oben dargelegten Begriffsverständnis von Religion [Anm.: mit Verweis auf Fußnote 85] „religiös“ durch „weltanschaulich“ ersetzen wollte, sagt ein solches „gemeinsames Wollen“ wenig über ein eine [sic!] daraus angeleitete spezifische Betätigung bzw Übung aus.“ Die hier naheliegende und ergebnisrelevante Frage ist aber nicht, ob ein solches gemeinsames Wollen „wenig“ oder viel über eine „spezifische Betätigung bzw. Übung“ aussagt, sondern vielmehr, ob im Fall der ARG eine „gemeinsame/gemeinschaftliche religiöse Erhebung oder gleichartige religiöse Betätigung“ (Gerichtsgutachten, Punkt 5.1, s. Dokument 1, Seite 103) bzw. Übung grundsätzlich vorliegt oder nicht vorliegt. Das Gerichtsgutachten bietet dazu keine inhaltlich tragfähige Überlegung bzw. Begründung; es bietet zu diesem für das Ergebnis relevanten Punkt nur begründungslose allgemeine Behauptungen (z.B. „Das gemeinsame Bekenntnis zum Atheismus, zu einem „spezifischen atheistischen religiösen Bekenntnis“ impliziert keinesfalls eine „gleichartige religiöse Betätigung““, s. Dokument 1, Seite 107, vgl. dazu auch Nr. 28) ohne zwingende Schlussfolgerungen für den Fall der ARG, um den es im zugrundeliegenden Administrativ- bzw. Rechtsmittelverfahren geht.

26. Im Gerichtsgutachten (Dokument 1, Seite 92 oben) wird „die „große Transzendenz“ im Sinne Luckmanns“ angesprochen (vgl. dazu z.B. Dokument 2, Seite 109 = Dokument 1, Seite 53). Im Gerichtsgutachten wird dann auf das „Kapitel 4.2“ des Gerichtsgutachtens verwiesen („worauf im Kapitel 4.2 näher eingegangen wird“, s. Dokument 1, Seite 92 unten). Dort, im Kapitel 4.2 [s. Dokument 1, Seiten 96-100], wird aber – entgegen dieser Ankündigung („worauf im Kapitel 4.2 näher eingegangen wird“) – an keiner Stelle näher darauf eingegangen, inwieweit „die „große Transzendenz“ in dem aufgezeigten Sinn“ „keinen Niederschlag“ „in den Statuten bzw in der Beschwerde der ARG“ findet (s. Dokument 1, Seite 92 unten). Das Gerichtsgutachten bietet also auch in diesem ergebnisrelevanten Punkt nur eine bloße Behauptung.

27. Gerichtsgutachten (Dokument 1, Seite 107, s. Nr. 25): „Das gemeinsame Bekenntnis zum Atheismus, zu einem „spezifischen atheistischen religiösen Bekenntnis“ impliziert keinesfalls eine „gleichartige religiöse Betätigung“.“ Auch bei dieser Feststellung handelt es sich um eine Feststellung in einem für das Ergebnis relevanten Punkt. Daher liegt es im Sinne guter wissenschaftlicher Praxis auch hier nahe, diese Feststellung inhaltlich zu begründen und entsprechend sorgfältig vorzugehen. Das Gerichtsgutachten enttäuscht auch diese naheliegende Erwartung. Es bietet wiederum weder eine Begründung für die Feststellung noch ein erkennbar sorgfältiges Vorgehen. Das Gerichtsgutachten beschränkt sich auch hier auf eine begründungslose, apodiktische Feststellung. Es bietet auch hier nur eine bloße Behauptung.

28. Die Lehre der ARG, mit religiösem Anspruch dargelegt im § 2 der ARG-Statuten (s. Dokument 1, Seiten 3-4 bzw. 71-72), bezieht sich auch auf den Tod. Steht der Tod denn nicht „prinzipiell außerhalb der bewussten und planbaren Erfahrung“ (Silke Gülker [2016], zitiert im Gerichtsgutachten, s. Dokument 1, Seite 92 oben mit Fußnote 23) bzw. „außerhalb jeder bewussten, planbaren und innerweltlich begründbaren Erfahrung“ (Gerichtsgutachten, s. Dokument 1, Seite 92)? Nota bene: Das Gerichtsgutachten geht an keiner Stelle auf die naheliegende Frage ein, welches Verständnis von „innerweltlich“ bzw. von „Transzendenz“ vom Gesetz rechtlich zwingend vorausgesetzt wird. Im Gerichtsgutachten heißt es weiters (Dokument 1, Seite 110; vgl. auch Dokument 1, Seite 92): „Dies gilt insbesondere in Bezug auf einen für Religion maßgeblichen Transzendenzbegriff (‚große Transzendenz‘), der sich auf jene Bereiche bezieht, die außerhalb jeder bewussten, planbaren und innerweltlich begründbaren Erfahrung stehen und Gegenstand einer ‚anderen Wirklichkeit‘ sind, die unabhängig von der Verschiebung der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens durch auf bewusster und begründbarer Erfahrung beruhendem zunehmendem Wissen besteht.“ Das wurde vom Gericht im RIS-teilanonymisierten VGW-Erkenntnis vom 1.6.2022 (Dokument 1, Seite 135) wortwörtlich so rezipiert: „Dies gilt insbesondere in Bezug auf einen für Religion maßgeblichen Transzendenzbegriff (‚große Transzendenz‘), der sich auf jene Bereiche bezieht, die außerhalb jeder bewussten, planbaren und innerweltlich begründbaren Erfahrung stehen und Gegenstand einer ‚anderen Wirklichkeit‘ sind, die unabhängig von der Verschiebung der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens durch auf bewusster und begründbarer Erfahrung beruhendes zunehmendes Wissen besteht.“ Im Gerichtsgutachten wird nicht beantwortet (bzw. begründet), ob bzw. warum gerade dieser Transzendenzbegriff nach Ansicht des nichtamtlichen Sachverständigen rechtlich verbindlich ist, wie das Erfüllen dieses Transzendenzbegriffes im Detail überprüft werden kann, und wie und mit welchem Ergebnis das Erfüllen dieses Transzendenzbegriffs im Fall der ARG ganz konkret überprüft worden ist; alle diese Fragen liegen aber nahe. Ein Erstrebenswertes, das im Sinne des § 2 Absatz 4 der ARG-Statuten (s. Dokument 1, Seite 71) „jeweils den Horizont dessen, was wir erreicht haben, übersteigt“, kann zwar erstrebt werden, es kann aber nicht wirklich erfahren werden. Was unter Umständen irgendwie „erfahren“ werden kann ist z.B. der Wert dieses Erstrebenswerten, „das jeweils den Horizont dessen, was wir erreicht haben, übersteigt“, aber nicht dieses Erstrebenswerte selbst. „Erstrebenswertes […], das jeweils den Horizont dessen, was wir erreicht haben, übersteigt“, steht so gesehen (noch) außerhalb unserer Erfahrung; es ist etwas Gedachtes, Vorgestelltes, eventuell Erstrebtes, aber es ist in Wirklichkeit (noch) nicht verwirklicht. Ein aus Sicht der ARG erstrebenswertes „gutes“ Leben für alle oder z.B. ein tatsächliches Anerkennen bzw. Respektieren der Religionsfreiheit für alle Menschen durch weltweit alle Menschen oder zumindest ihre Regierungen (zu einem bestimmten Zeitpunkt) ist eindeutig noch nie verwirklicht worden, und ob z.B. ein seliges Leben in einem „guten“ Jenseits jemals wirklich mehr ist (bzw. sein wird) als (nur) etwas Gedachtes, Vorgestelltes, von vielen Theist:innen Erstrebtes, das kann mit einem Ja oder einem Nein nicht religiös neutral beantwortet werden.

29. Transzendenz als „andere Wirklichkeit“ (Silke Gülker [2016], zitiert im Gerichtsgutachten, s. Dokument 1, Seite 92 oben mit Fußnote 23): Das Gerichtsgutachten lässt keine konkrete, nachvollziehbare und inhaltlich tragfähige Überprüfung der Frage erkennen, ob ein solcher Transzendenzbezug im Fall der ARG vorliegt oder nicht vorliegt (s. auch Nr. 28). Diese Frage bzw. eine solche Überprüfung liegt aber nahe, ist höchst ergebnisrelevant und drängt sich geradezu auf. Diese Unterlassung ist angesichts des bisher von der ARG selbst Dargelegten (s. z.B. Nr. 12, 22, 26 und 28, s. auch Dokument 6) und auch – verglichen mit dem Gerichtsgutachten – diametral gegensätzlich bzw. anders lautender Feststellungen des einzigen ins bisherige Verfahren involvierten Univ.-Prof. für Religionswissenschaft (s. Nr. 13) schwerwiegend; sie ist, wenn man hier ein ernsthaftes und kompetentes Bemühen des gerichtlich bestellten nichtamtlichen Sachverständigen um gute wissenschaftliche Praxis unterstellen möchte (s. Nr. 2 und Nr. 3), darüber hinaus auch völlig unverständlich.

30. Gerichtsgutachten (Dokument 1, Seite 106): „Auch aus dem hier angebrachten Verweis auf Art 10 Abs 1 lit b der EU-RL [also: Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b der EU-Richtlinie] 2011/95/EU, wonach unter den Begriff der Religion insbesondere auch atheistische Glaubensüberzeugungen subsummiert werden, ist – wie bereits ausführlich dargelegt – für die Antragstellerin nichts zu gewinnen. Wenn jemand in einem totalitären „Gottesstaat“ auf Grund seiner atheistischen Überzeugung verfolgt wird, dann wird er zwar aus Gründen der Religion verfolgt, dies macht seine atheistische Überzeugung jedoch nicht zur Religion.“ Der nichtamtliche Sachverständige unterlässt auch hier in diesem ergebnisrelevanten Punkt eine naheliegende argumentative Auseinandersetzung mit dem, was die ARG bereits in ihrer Stellungnahme (s. Dokument 1, Seiten 82-87) zu einem Amtsgutachten (s. Dokument 1, Seiten 6-8 und Seiten 79-80) und ebenso in ihrer Bescheidbeschwerde (im Punkt A.2.1, s. Dokument 1, Seiten 17-19) ausführlich dargelegt hat. Ebenso unterlässt das Gerichtsgutachten jede argumentative Auseinandersetzung mit dem der Bescheidbeschwerde beigelegten wissenschaftlichen Artikel (s. Dokument 2, vgl. Dokument 1, Seiten 43-62) zur ARG. Kurz noch zurück zum „Gottesstaat“-Satz (Dokument 1, Seite 106 unten: „Wenn jemand in einem totalitären „Gottesstaat“ auf Grund seiner atheistischen Überzeugung verfolgt wird, dann wird er zwar aus Gründen der Religion verfolgt, dies macht seine atheistische Überzeugung jedoch nicht zur Religion“): Dieser Satz stimmt – so formuliert und für sich genommen. Er bietet aber keine inhaltlich tragfähige Antwort auf die Frage, ob eine atheistische Religion möglich ist, und auch keine inhaltlich tragfähige Antwort auf die Frage, ob im konkreten Fall der ARG eine Religion vorliegt oder nicht vorliegt.

31. Auf die im Hinblick auf das Verfahren bzw. den Fall der ARG naheliegende Frage, ob im Rahmen der Religionsfreiheit grundsätzlich ein Recht darauf besteht, auch eine atheistische Religion zu verwirklichen, geht das Gerichtsgutachten an keiner Stelle ein. Auf die ebenso naheliegende Frage, ob zum Kern der Religionsfreiheit auch zählt, „sich ein eigenes religiöses Transzendenzverständnis zu erarbeiten und auf dessen Grundlage ein eigenes religiöses Transzendenzverhältnis zu entwickeln und danach zu leben“ (s. https://religion.orf.at/stories/3216102/, vgl. auch Nr. 37), geht das Gerichtsgutachten ebenso an keiner Stelle ein. Das Gerichtsgutachten legt auch nicht dar, welche relevanten Ermessensspielräume in einem Eintragungsverfahren wie dem der ARG grundsätzlich bestehen und zu beachten sind. Aus der Perspektive einer unbefangenen und sachlich kompetenten inhaltlichen Erfüllung des Gutachtensauftrags liegt aber auch in diesem relevanten Punkt eine sorgfältige und umsichtige, weitblickende Darlegung im Gerichtsgutachten sehr nahe. Wenn sich ein Sachverständiger angesichts des konkreten Gutachtensauftrags (s. Nr. 20) schon auf den konkreten Fall der ARG beziehen möchte, dann ist z.B. die Frage, ob eine atheistische Religion grundsätzlich möglich ist, eine naheliegende Frage; diese Frage wird im Gerichtsgutachten weder gestellt noch beantwortet.

32. Mitunter zeigt das Gerichtsgutachten eine eher polemische Wortwahl, die weitere Zweifel an einem unbefangenen und sachlichen gutachterlichen Vorgehen des nichtamtlichen Sachverständigen weckt bzw. stützt (Dokument 1, Seite 107): „Es erübrigt sich daher, solche zwangsweise konstruieren zu wollen. Derartige Versuche führen dazu, dass gewisse Handlungen (zB Beitrittserklärung, Umlaufbeschluss) intentional bzw inhaltlich überhöht und so mitunter bis ans Absurde übersteigert werden. Insgesamt stellen diese gewissermaßen eine überflüssige – und gleichzeitig nicht überzeugende – „Fleißaufgabe“ dar, die letztlich ins Leere gehen muss.“ An dieser Stelle erlauben wir uns die Feststellung, dass die ARG selber bisher weder im Administrativverfahren noch im Rechtsmittelverfahren eine Notwendigkeit gesehen hat, auf Überhöhungen usw. im Bereich anderer Religionen hinzuweisen.

33. Das aktuell geltende Universitätsgesetz 2002 legt in § 51 Ziffer 31 sehr klar fest: „Ein Plagiat liegt jedenfalls dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.“ Das gilt nicht nur für alle Studierenden, sondern für alle Universitätsangehörigen; also auch für den nichtamtlichen Sachverständigen und seine Mitautorin (s. Nr. 1 und Nr. 36).

34. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns, an dieser Stelle nochmals ausdrücklich auf die in Nr. 18 und Nr. 19 (und genau genommen auch in Nr. 35) dargestellten Plagiate aufmerksam zu machen.

35. Im Gerichtsgutachten ist ebenso ohne weitere Quellenangabe zu lesen (Dokument 1, Seite 111): „Ohne Zweifel ist die Bezeichnung „Atheistische Religionsgesellschaft“ dazu angetan – jedenfalls prima vista und gemessen am durchschnittlichen Verstehenshorizont der Teilnehmer am Rechtsverkehr – als contradictio in adiecto wahrgenommen zu werden und damit in gewisser Weise auch Verwirrung zu stiften.“ In einem zuvor veröffentlichten und im Literaturverzeichnis des Gerichtsgutachtens (s. Dokument 1, Seite 114) aufgelisteten Artikel (Brigitte Schinkele [2020], Ist die „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ eine Religionsgemeinschaft bzw ihre „Lehre“ eine Religion? öarr [österreichisches Archiv für recht & religion]67/1, 2020, 1-45, hier Seite 32 unten) ist zu lesen: „Ohne Zweifel ist die Bezeichnung „Atheistische Religionsgesellschaft“ dazu angetan – jedenfalls prima vista – darin eine contradictio in adiecto zu sehen.“ Auch diese „prima vista“-Passage ist also genau genommen ein Plagiat. Mit dem erforderlichen Verantwortungsbewusstsein und entsprechender Sorgfalt beim Formulieren (erkennbar z.B. an einem „vgl. …“ oder Ähnlichem) wäre vermutlich nicht nur diese Stelle kein Plagiat geworden.

36. Im Gerichtsgutachten wird eine Mitautorin ausgewiesen (s. Nr. 1). Das Gerichtsgutachten enthält keine Begründung dafür, warum es eine Mitautorin des Gerichtsgutachtens gibt. Auch der Gerichtsverhandlung (s. Dokument 1, Seiten 127-132) lässt sich keine Begründung dafür entnehmen.

37. Auf der Website der ARG ist zu lesen (s. https://atheistisch.at/2023/08/09/arg-atheismus-religion-und-religionsfreiheit/): „Als Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) sagen wir nicht: Atheismus ist eine Religion. Das wäre zu pauschal formuliert. Denn nicht jeder Atheismus ist auch gleich eine Religion. Sondern wir sagen: Religion kann auch atheistisch verwirklicht werden. Eine atheistische Religion ist grundsätzlich möglich. Atheistische Religionen liegen im Bereich des Möglichen. Das ist etwas deutlich anderes als die Aussage bzw. die Behauptung, jeder Atheismus sei eine Religion. In einem Eintragungsverfahren nach dem Bekenntnisgemeinschaftengesetz ist es Aufgabe der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts, im konkreten Einzelfall festzustellen und zu begründen, ob im konkreten Einzelfall eine Religion vorliegt oder nicht vorliegt. Das erfordert Feststellungen und Begründungen. Und zwar solche, die auch inhaltlich tragfähig und rechtskonform sind. Als Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) stellen wir darüber hinaus eine sehr konkrete Frage zur Religionsfreiheit: Zählen auch das Entwickeln eines eigenen Transzendenzverständnisses und das Verwirklichen eines eigenen Transzendenzverhältnisses zum Kernbereich der Religionsfreiheit? Unsere eigene kurze Antwort auf diese konkrete Frage lautet: Ja.“

Verzeichnis der erwähnten nummerierten Dokumente:

Wilfried Apfalter ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)


Über Wilfried Apfalter

Ich halte unsere Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) für ein in mehrfacher Hinsicht sehr spannendes Projekt und bin fasziniert von dem, was alles möglich ist bzw. sein wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert