Am 12. Juni 2025 haben wir im Zusammenhang mit unserem Eintragungsverfahren über unseren Rechtsanwalt Mag. Ralf Niederhammer eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingebracht. Der ORF hat darüber in der Ö1-Radiosendung „Religion aktuell“ vom 13. Juni 2025 kurz berichtet.
Der EGMR hat seinen Sitz im französischen Straßburg und überprüft Beschwerden auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Österreich ist ihr 1958 beigetreten (BGBl. Nr. 210/1958), seit 1964 steht sie in Österreich im Verfassungsrang (BGBl. 59/1964).
Unsere Beschwerde bezieht sich auf Artikel 9 in Verbindung mit Artikel 11 in Verbindung mit Artikel 14 der EMRK (Religionsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Verbot der Benachteiligung) und auf Artikel 6 der EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).
Ein inhaltlicher Knackpunkt, von dem die grundlegende Entscheidung des Kultusamts, uns nicht als religiöse Bekenntnisgemeinschaft staatlich einzutragen, wohl in besonderem Maße abhängt, war die Frage nach einem ausreichenden Transzendenzbezug der Atheistischen Religionsgesellschaft. Ein Transzendenzbezug ist Teil der Religionsbegriffsbestimmung in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes: „Religion: Historisch gewachsenes Gefüge von inhaltlich darstellbaren Überzeugungen, die Mensch und Welt in ihrem Transzendenzbezug deuten sowie mit spezifischen Riten, Symbolen und den Grundlehren entsprechenden Handlungsorientierungen begleiten“ (Erl RV BekGG, 938. BlgNR 20. GP, 8).
Kernbereich von Religionsfreiheit
Das ist vielleicht auch eine Frage von allgemeinerem Interesse, die weit über den Einzelfall der Atheistischen Religionsgesellschaft hinausreicht: Zählt es zum Kernbereich von Religionsfreiheit, ein eigenes Transzendenzverständnis entwickeln und ein eigenes Transzendenzverhältnis verwirklichen zu dürfen? Unsere eigene Kurzantwort auf diese Frage lautet: Ja.
In unserer Bescheidbeschwerde gegen den Bescheid des Kultusamts habe ich damals geschrieben: „Die individuelle Religionsfreiheit bezieht sich auf einen Begriff von ‚Religion‘. Kein deutlich anderer Religionsbegriff wird der Religionsfreiheit in ihrer korporativen Form zugrunde gelegt werden können. Notwendigerweise müssen sich beide Formen von Religionsfreiheit inhaltlich wohl auf ein und denselben Begriff von ‚Religion‘ beziehen (lassen), sonst zerrinnt der Begriff der Religionsfreiheit unter der Hand. Der Unterschied zwischen individueller Religionsfreiheit und korporativer Religionsfreiheit wird daher wohl nur in sachlich gerechtfertigten unterschiedlichen (Spezial-) Regelungen bestehen können, die aber nicht den Kern dessen, was unter ‘Religion’ zu verstehen ist, betreffen können.“
Hans Gerald Hödl, Ao. Universitätsprofessor für Religionswissenschaft am Institut für Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, hat in zwei von uns in unser Eintragungsverfahren eingebrachten religionswissenschaftlichen Stellungnahmen, deren erste dem Kultusamt schon Monate vor seiner Bescheiderlassung übermittelt wurde, klar bestätigt, dass wir sehr wohl über einen religiösen Transzendenzbezug verfügen und in unserem Fall von einer Religionsgemeinschaft zu sprechen ist.
Natürlich ist auch die naheliegende und weiterführende Frage berechtigt, welche Transzendenzbezüge andere Religionsgemeinschaften bisher dem Kultusamt gegenüber glaubhaft gemacht haben und wie dabei jeweils vorgegangen wurde.
Als Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) treten wir für das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit ein. Und wir nehmen diese Religionsfreiheit auch für uns selbst in Anspruch.
Wilfried Apfalter ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)