Heute vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verabschiedet. Zu diesen Menschenrechten zählt auch die Religionsfreiheit (Artikel 18: “Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit”).
Ein friedliches Zusammenleben aller Menschen wird weltweit von vielen Menschen ersehnt und gleichzeitig vielerorts (sehr) aktiv behindert bzw. verunmöglicht. Beispielsweise drohen in einigen stark konservativ-islamisch geprägten Ländern auch heute noch für einen Abfall vom Islam und für das Bewerben von Atheismus strengste Strafen bis hin zur Todesstrafe. Das steht unter anderem im Widerspruch zur Religionsfreiheit. Verfolgung aus religiösen Gründen betrifft Menschen unterschiedlicher Überzeugungen. Die Bandbreite reicht von (Poly-) Theist:innen bis hin zu Atheist:innen.
Nicht alle, die z.B. aus stark konservativ-islamisch geprägten Ländern kommen und hier bei uns einen Asylantrag stellen, ticken selber auch so streng konservativ-islamisch. Es gibt durchaus auch bemerkenswert weltoffene Atheist:innen aus solchen Ländern. Zwar vergleichsweise wenige, aber es gibt sie. Und zwar unzweifelhaft. Und auch wenn es nicht alle Menschen immer gerne hören: eine zentrale Grundidee der Menschenrechte ist, dass sie für alle Menschen gelten.
Menschenrechte gelten für alle Menschen
Der Verein „Säkulare Flüchtlingshilfe – Österreich“ unterstützt Atheistinnen und Atheisten (z.B. Ex-Muslime), die in Österreich um Asyl ansuchen. Diesbezüglich arbeitet die Säkulare Flüchtlingshilfe ganz besonders mit der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) zusammen. Roswitha Feigl, die als regionale Kontaktperson der ARG 2018 das erste Asylverfahren zur ARG gebracht hat, über Silvia Gerger (1955-2022), die 2020 den Verein „Säkulare Flüchtlingshilfe – Österreich“ gegründet hat: „Silvia hat sich mit großem Engagement für LQBT+ und Ex-Muslime eingesetzt.“ In den Vereinsstatuten der Säkularen Flüchtlingshilfe Österreich ist, noch von Silvia formuliert, zu lesen: „§ 2: Zweck (1) Der Verein „Säkulare Flüchtlingshilfe – Österreich“ ist eine Initiative von Atheisten und Atheistinnen für Atheisten und Atheistinnen. Wir wollen jene Atheisten und Atheistinnen, die in Österreich um Asyl ansuchen, unterstützen. Atheistische Flüchtlinge stellen unter den bei uns Zuflucht suchenden Menschen eine besondere Gruppe dar. Es sind überwiegend sehr engagierte, politisch denkende Menschen, die sich gegen die dogmatische Ideologie der vorherrschenden Religion ihrer Heimatländer auflehnen. Wir werben dafür, dass diese Menschen, die mit ihrem Leben für die Werte der Freiheit und Selbstbestimmung einstehen, von Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen werden.“
Saddam Hussain, Vorstandsmitglied der Säkularen Flüchtlingshilfe Österreich, hat selber ein Asylverfahren durchlaufen. Nach einer Gesamtdauer von 4 Jahren (Herbst 2018 bis Winter 2022) – 3 Richter waren hintereinander zuständig, 2 Gerichtsverhandlungen haben stattgefunden (eine in Linz, dann eine in Wien) – hat der dritte Richter fast die gesamte Gerichtsverhandlung dazu genutzt, sich für das eher ressourcenverschwendende Verhalten der Asylbehörde und des eigenen Gerichts zu entschuldigen. Aber auch danach hat der Staat noch Ressourcen verschwendet: Nach 2 fehlerhaft ausgestellten Konventionsreisepässen (falsches Land, falsche Körpergröße) wurde erst der dritte Konventionsreisepass fehlerfrei ausgestellt.
Gisela Tiefenbrunner, ebenfalls Vorstandsmitglied der Säkularen Flüchtlingshilfe Österreich, beschäftigt sich auch in ihrer kultur- und sozialanthropologischen Masterarbeit mit Apostat:innen bzw. Atheist:innen in Asylverfahren, konkret mit Ex-Muslimen.
Unterstützung ist möglich
Mit unserer Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG), die sich ja über die Jahre hinweg eine bemerkenswerte Atheismus-Expertise erarbeitet hat, besteht eine erfolgreiche Kooperation. Aktuell hat die ARG fast 400 Mitglieder. Nach meiner Zählung waren oder sind bisher 63 Mitglieder der ARG in einem von der ARG mitbetreuten Asylverfahren: die ARG konnte bereits 35 Atheist:innen rechtlich erfolgreich helfen, 7 Fälle gingen negativ aus, 21 Asylverfahren sind derzeit noch offen. Von diesen 35 haben 29 volles Asyl bekommen, wobei dann jeweils behördlich (in 6 Fällen) bzw. gerichtlich (in 23 Fällen) festgestellt worden ist, dass dem jeweiligen Mitglied kraft Gesetzes der Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zukommt.
Alle Menschen guten Willens sind herzlich eingeladen, die Säkulare Flüchtlingshilfe Österreich in ihrer Arbeit auf die eine oder andere Weise zu unterstützen und so ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. Vielen lieben Dank schon im Voraus!
Bild: Silvia Gerger (rechts, 1955-2022), die Gründerin der Säkularen Flüchtlingshilfe Österreich, mit Saddam Hussain (links, Vorstandsmitglied der Säkularen Flüchtlingshilfe Österreich) bei einer ARG-Kundgebung für die Gleichberechtigung von Atheist:innen auf der inneren Mariahilfer Straße in Wien (Foto: Saddam Hussain).
Verein „Säkulare Flüchtlingshilfe – Österreich“ (ZVR-Zahl: 1444243285), Zustelladresse: Lazarettgasse 34/21, 1090 Wien
Spendenkonto (Kontoinhaber: Säkulare Flüchtlingshilfe – Österreich): IBAN: AT35 1200 0100 4025 2263, BIC: BKAUATWW.
Buchtipps
- Jasmin Thoma (2019), Der Ungläubige: Sehnsucht nach einem freien Leben. Verlag tredition. [ISBN-13: 978-3749731329]
- Amed Sherwan und Katrine Hoop (2020), Kafir: Allah sei Dank bin ich Atheist. Edition Nautilus. [ISBN-13: 978-3960542384]
Wilfried Apfalter ist Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG)
Gerade bin ich zufällig auf diesen Artikel gestoßen.
Ich finde ihn gut und wichtig.
Aber ich frage mich, warum sich der Artikel, bzw. die dafür verantwortliche Gemeinschaft nur Atheist:Innen widmet, und nicht Agnostiker:Innen.
Ich vermisse hier Solidarität jenen gegenüber, welche nicht beanspruchen, einigermaßen zuverlässig irgendetwas über Gott oder Nicht-Gott zu wissen.
Danke für den Kommentar!
Wenn man die Gegnerzuschreibung nimmt, dann wäre jemand, der die gesicherte Existenz Gottes leugnet, also eine agnostische Position einnimmt, aus der Sicht der Verfolger wohl auch ein Atheist. Der Tatbestand des Atheismus war all zu häufig bereits damit erfüllt, nicht in der richtigen Weise an Gott zu glauben.
Eine interessante Ergänzung dazu finde ich die Frage: Wenn man sich unsicher ist, ob Gott wirklich existiert – bzw. welcher Gott – lebt man dann sicherheitshalber nach dessen Gesetz, um nicht versehentlich in die Hölle zu kommen (Pascalsche Wette) oder lebt man nach dem Gesetz der Menschen bzw. der eigenen Vernunft, dessen Begründung solide erscheinen kann, ob es Gott nun gibt oder nicht.
Wenn letzteres der Fall ist, ist man zwar erkenntnistheoretisch Agnostiker, praktiziert aber als Atheist. Und dieser praktizierende Atheismus ist bei uns voll mitgemeint.
Hallo!
Ihr werdet – wie ich vermute – niemals als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Warum? Mit euren Erklärungen sagt ihr, was ihr glaubt. Aber Religion geht darüber hinaus. Sie erklärt den Menschen wie das Leben entstanden ist, warum und wie man leben soll. Es gibt unzählige Variationen, wie es angeblich ist. Aber jede davon behauptet, es zu wissen. Was ich bei euch gelesen habe, klingt eher, als würdet ihr eine psychologische Vereinigung sein. Das ist Religion eben nicht. Sie wird auch nicht “missbraucht”, wie ihr glaubt, sondern sie ist ein Antrieb und ich glaube, sie ist auch dazu da, den Menschen einen Grund zu geben, einander umzubringen. Das Leben ist halt nicht lieb und nett, sondern ein Kampf ums Überleben. Sie eint eine Gruppe und grenzt auch aus.
Religion ist auch Vision und psychische Ausnahmesituation. Ohne dieses Element funktioniert sie nicht. Sie kann nicht nur rational sein, denn wenn sie das ist, ist sie Wissenschaft. Ich persönlich kann nichts mit irgendwelchen Ritualen anfangen. Rituale sind sinnlose Handlungen und wie eine Studie erwiesen hat, sind nur Menschen und Hunde fähig, sie auszuführen. Offenbar brauchen viele Menschen aber welche. Wenn man sie aber bewusst erfindet, verfehlen sie vermutlich ihren Zweck.
Es ist noch nie so gewesen, dass alle Menschen, die einer Religion angehörten, einer Meinung waren. Ich kenne nur einen Herrscher der sagte: “Glauben kann man nicht erzwingen!” Damit hatte er Recht. Die meisten Menschen heucheln und arrangieren sich, weil sie es müssen.
Eine echte atheistische Religion gab es so viel ich weiß, nur im alten Iran. Den Zurvanismus. Über den wird geforscht, sehr viel weiß man aber nicht mit Sicherheit. https://de.wikipedia.org/wiki/Zurvanismus Der Zurvanismus hat eine atheistische Sekte hervor gebracht. Raum und Zeit, haben das Leben geschaffen. Nicht ein Gott, oder Götter. Eines kommt aus dem anderen (gemeint: ein Lebewesen wird aus einem anderen geboren). So in dieser Art.
Vielleicht solltet ihr euch euer psychologisches Geschwafel ersparen und nicht sagen, was ihr für hilfreich haltet, sondern was ihr zu wissen glaubt. 😉
LG
Maria Sand
Sehr geehrte Frau Sand!
Danke für Ihren ausführlichen Kommentar. Möchten Sie auf unserer Homepage vielleicht auch den Beitrag “Religionskritik” (https://atheistisch.at/2023/03/07/religionskritik/) lesen?
Erlauben Sie mir bitte auch eine persönliche Anmerkung: Ich finde es immer gut, andere Menschen nicht zu unterschätzen.
Mit freundlichen Grüßen
Wilfried Apfalter
Danke für diese Meinung.
Ich gestehe Ihnen Ihre Meinung gerne zu, teile sie aber nicht.
Ich finde schon allein die Aussage “sind nur Menschen und Hunde fähig, sie auszuführen” ist interessant. Sind Rituale etwas, das Menschen und Hunde von anderen Tierarten abhebt? Warum könnte das sein? Liegt es am Sozialverhalten bzw. der Intelligenz von Hunden und Menschen, dass wir zu Ritualen fähig sind?
Wieso sollten Rituale ihren Zweck verfehlen, wenn man sie absichtlich und bewusst einsetzt? Denken Sie, ein Moment der Stille verfehlt seinen Zweck, nur weil man ihn absichtlich herbei führt?
Wir glauben nicht, dass wir dadurch die Götter beeindrucken oder besänftigen können. in der Tat nicht. Es geht uns um uns Menschen.
Was ich zu wissen glaube:
Wir Menschen haben im Versuch, uns uns selbst und die Welt zu erlkären viele Geschichten einfallen lassen, unter anderem auch Gottheiten. Inzwischen haben wir eine wissenschaftliche Methode, die viele Fragen besser beantworten kann, als wir das früher konnten. Aber selbst die Wissenschaft kann nicht alles beantworten, weil manche Fragen einfach keine wissenschaftlichen Fragen sind, sondern zum Beispiel ethische: “Werde ich auf Dauer glücklicher sein, wenn ich Schokolade genieße, oder darauf verzichte, oder sie mir nur zu besonderen Anlässen gönne?” Ob es darauf wahrhaftig nur eine richtige Antwort gibt? Ich bezweifle es. Es liegt mir fern, anderen vorzuschrieben, ob sie Schokolade essen oder nicht. Wobe die Produktionsbedingungen relevant erscheinen. … Ich verzettel mich. Aber das glaube ich zu wissen. …
Lg
Werte Frau Sand,
Ich möchte zunächst auf Ihren letzten Satz eingehen (“Vielleicht solltet ihr euch euer psychologisches Geschwafel ersparen und nicht sagen, was ihr für hilfreich haltet, sondern was ihr zu wissen glaubt. 😉”) und Ihnen antworten: Ich bin überzeugt, dass die fortschreitende Wissenschaft uns Menschen deutlicher denn je vor Augen führt, dass wir gewisse Dimensionen des Seins nicht erkennen werden. Dieser ernüchternden Erkenntnis dennoch Lebensfreude entgegenzusetzen, ist die Kunst des Lebens für Atheist*innen.
Ich kann persönlich als Freudianer Ihren prophetischen Traumanalysen nichts abgewinnen, wenngleich ich verstehe, wie diese zustande kommen können. Ich halte mich auch an “moderne” Schlaf- und Traum(a)-Forscher, welche physiologisch die sog. Traumarbeit in der Bewältigung erlebter Ereignisse verorten.
Ihre Ausführungen zum Thema Rituale: “Rituale sind sinnlose Handlungen und wie eine Studie erwiesen hat, sind nur Menschen und Hunde fähig, sie auszuführen.” schockieren mich bzw. machen mich sprachlos. Dies ob der “Dümmlichkeit” und Respektlosigkeit Ihrer Ausführungen. Ich liebe gemeinsame Rituale mit Hunden – viel mehr noch mit Katzen. Das Ritual der Jagd zwischen Mensch und Tier (vice versa) klammere ich hier und in Zusammenhang mit Freude einmal aus.
Ihre Ausführung, dass Religion auch Töten und Kriegführung legitimiert und hierbei auch nicht missbraucht wird ist, für mich erschreckend. Diese Ihre Haltung/Einstellung diente weltweit (also nicht nur in Deutschland) brutalen Rechtfertigungsstrategien, auch bei Völkermord. Sie haben einige Bücher geschrieben, wie ich recherchierte, aber offensichtlich zu wenige gelesen. Letzteres kann ich – ehrlicherweise – nur vermuten.
Schade um Ihren menschlichen Geist, welcher eigentlich Gutes für andere will. Sie haben eine “Recht des Stärkeren” Haltung in Bezug auf evolutionäres Geschehen verinnerlicht, die nicht haltbar, bzw. politisch gefährlich ist. Ich bezeichne Sie nicht als Schwurblerin, sondern vielmehr als unreflektierte Demagogin.
Hans Peter Radauer
Danke für eure Arbeit . Es braucht ein Gegengewicht zu den ganzen religiösen.