Unsere Antragstellung beim Kultusamt (2) – warum überhaupt? 2


Der Genetiker John B. S. Haldane schrieb einmal („The truth about death“, Journal of Genetics, 58 (1963) 463-464, auf Seite 464):

I suppose the process of acceptance will pass through the usual four stages:
1. This is worthless nonsense,
2. This is an interesting, but perverse, point of view,
3. This is true, but quite unimportant,
4. I always said so.

(„Ich gehe davon aus, dass der Prozess der Akzeptanz durch die üblichen vier Phasen verlaufen wird:
1. Das ist wertloser Blödsinn,
2. Das ist eine interessante, aber perverse Perspektive,
3. Das ist wahr, aber ziemlich unwichtig,
4. Ich habe es immer schon gesagt.“)

Auch unser Vorhaben, als „Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich“ (ARG) mit einem entsprechenden Antrag beim Kultusamt eine staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu werden, muss wohl diese vier Phasen der Akzeptanz durchlaufen.

In diesem zweiten Beitrag unserer Serie soll nun ein wenig beleuchtet werden, warum unser Ziel, eine staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu werden, Sinn macht und warum wir diese Herausforderung daher mit Freude annehmen.

Die Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) hat viele interessante Facetten. Wir wollen als ARG grundsätzlich einen nachhaltigen rechtlichen und inhaltlichen Rahmen bieten für vieles, was dadurch dann rechtlich erstmals auch für Atheistinnen und Atheisten möglich wird. Und wir wollen für interessierte Atheistinnen und Atheisten – besonders für diejenigen unserer Mitglieder, die das möchten – Möglichkeiten schaffen, spannendes Neues zu entwickeln und auf dieser Grundlage auch selber tätig zu werden.

Atheismus und Religion

Ein differenzierter Umgang mit Atheismus und Religion ist uns wichtig. Damit sitzen wir allerdings irgendwie auch schon zwischen mehreren Stühlen. Wir wollen nämlich – entgegen vielen Vorurteilen – zeigen, dass das Verhältnis zwischen Atheismus und Religion anders sein kann, als es sich viele Atheismus- und Religions-Kritikerinnen und -Kritiker (sowohl von Seiten der etablierten Religionen als auch von atheistischer Seite) derzeit vorstellen. Es liegt ja leider bei nicht wenigen Menschen ein sehr pauschalisierendes und durch unrealistische Vorurteile beeinträchtigtes Bild von dem, was „Atheismus“ und was „Religion“ grundsätzlich ist und sein könnte, vor.

Angesichts des weit verbreiteten Vorurteils, Atheismus sei die Ablehnung von Religion, scheint es vielen provokant, dass wir als Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) ganz offenkundig selber als religiöse Gemeinschaft akzeptiert werden wollen. Mit unserer Antragstellung beim Kultusamt in Wien werden wir ganz konkret an der gesellschaftlichen Aushandlung dessen, was als Religion wahrgenommen und angenommen wird, mitwirken. Atheismus bedeutet für uns nicht, Religion grundsätzlich abzulehnen. Religion kann ja auch für uns selbst wichtige existenzielle Fragen behandeln: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Wie gelingt mir ein sinnerfülltes Leben?

Gleiche Rechte …

Uns geht es um ernstgemeinten Dialog, Ambiguitätstoleranz und konstruktive Religionskritik (inkl. Selbstkritik) ohne Herabwürdigung Andersdenkender. Es geht uns aber auch um volle Gleichberechtigung und Partizipation. Eine volle Gleichberechtigung bedeutet im Endeffekt, als Mitglieder der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) gleiche Rechte wie die Mitglieder der bereits etablierten Religionsgemeinschaften zu haben. Etwa eine gleichberechtigte rechtliche Berücksichtigung von Riten, wie unseres veganen Ritus (siehe Petr Kudelka, Felix Hnat & Ralf Müller-Amenitsch (2017), Vegan im Recht. Das Handbuch für juristische Fragen des veganen Lebensstils, Wien: Vegane Gesellschaft, auf den Seiten 31-33). Ein weiteres Beispiel: Wenn wir eines Tages eine gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft sind (was nach § 11 des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes unter anderem etwa 17.000 Mitglieder voraussetzt), dann ist es uns zum Beispiel nach § 17 Absatz 2 des Privatschulgesetzes auch grundsätzlich möglich, eine konkrete Privatschule als konfessionelle Schule anzuerkennen und ihr damit die volle Gleichbehandlung mit anderen konfessionellen Privatschulen und eine damit verbundene beachtliche finanzielle Absicherung durch den Staat zu vermitteln.

… und Partizipation

Partizipation wiederum unterstützt auch eine Normalisierung. Wir wollen aktiv dazu beitragen, dass es normal wird, dass auch Atheistinnen und Atheisten zum Beispiel in interreligiösen Dialogrunden berücksichtigt werden, eingeladen werden und teilnehmen (so wie es zum Beispiel jetzt schon im interreligiösen „IWEO-Dialogforum Ethik“ der Fall ist), ebenso etwa in diversen Ethik-Kommissionen, parlamentarischen Enqueten und in der Religionsberichterstattung, zum Beispiel in der gesetzlich geregelten ORF-Berichterstattung über Religionen.

Mögliche Aufgaben einer Atheistischen Religionsgesellschaft

Es geht uns also nicht nur darum, auch rechtlich gleichgestellt zu werden. Es geht uns auch um die Frage: Wie weiter, und wozu? Wir bemühen uns darum, dass unserer Perspektive auf die Welt staatlicherseits ein kulturell gleichwertiger Platz eingeräumt wird wie anderen religiösen Perspektiven und dass „gottlos“ als Schimpfwort aus der Mode kommt. Wir fragen aber auch: Wie kann auch „Seelsorge“ durch Atheistinnen und Atheisten gut gestaltet werden? Wie können wir existenzielle Fragen für Atheistinnen und Atheisten gut aufbereiten? Wie können wir auf Wunsch bzw. bei Bedarf gute Begleitung in Freude und Trauer, in Lebenslust und Leid anbieten? Können Rituale hier helfen, und wie wären spezifisch atheistische Rituale beschaffen?

Wir streben also die Eröffnung neuer Räume kultureller Partizipation für Atheistinnen und Atheisten an. Im interreligiösen Dialog und auf Augenhöhe mit bereits etablierten Religionsgemeinschaften.

Seelsorge

Seelsorge als Kulturarbeit, auch allgemein gesellschaftlich, und Spiritualität als Beziehung bzw. Verhältnis zur Transzendenz – das ist wohl immer auch ein Umgang mit kulturellen Narrativen, mit Erzählungen und Geschichten, die Perspektiven eröffnen und darlegen. Ich wüsste nicht, warum sich nicht auch interessierte Atheistinnen und Atheisten auf die Suche nach den aktuell besten verfügbaren kulturellen Narrativen, die in der Lage sind, uns Perspektiven auf existenzielle Themen mit Transzendenzbezug zu eröffnen und darzulegen, begeben können, über sie nachdenken können und sinnvoll mit ihnen arbeiten können.

Seelsorge auf Augenhöhe mit bereits etablierten Religionsgemeinschaften, zum Beispiel im Krankenhaus, im Hospiz, im Gefängnis, bei der Polizei oder im Militär. Gerade hier wird die seelsorgerische Vielfalt sichtbar: In Belgien etwa gibt es bereits eine humanistische Betreuung von Militärangehörigen, ebenso in den Niederlanden. So wie es derzeit in Österreich eine „Katholische Militärseelsorge“, eine „Evangelische Militärseelsorge“, eine „Orthodoxe Militärseelsorge“, eine „Islamische Militärseelsorge“, eine „Alevitische Militärseelsorge“ und eine „Jüdische Militärseelsorge“ gibt, so könnte es grundsätzlich eines Tages auch eine „Atheistische Militärseelsorge“ in Österreich geben. Natürlich wären/sind dafür auch entsprechend verantwortungsbewusste Konzepte (etwa zum Tätigkeits- und Qualifikationsprofil, zur Vorbereitung und Mandatierung der Seelsorger/innen durch die Atheistische Religionsgesellschaft und zur Sicherstellung einer entsprechenden Unterstützung/Betreuung auch für die Seelsorger/innen) und sonstige Vorbereitungen und Vorarbeiten erforderlich.

Theologie

Theologie auf Augenhöhe mit bereits etablierten Religionsgemeinschaften. So wie in Österreich an einer staatlichen Universität derzeit zum Beispiel „Katholische Theologie“ und „Evangelische Theologie“ sowie „Religionspädagogik mit Schwerpunkt Orthodoxe Religionspädagogik“ und „Islamische Religionspädagogik“ studiert werden kann, so ist grundsätzlich auch eine (sinngemäß) „Atheistische Theologie“ (oder welcher Name auch immer dann dafür gewählt wird) als universitäres Studium vorstellbar; etwa als individuelles Studium, das auf unabhängig davon angebotene Lehrveranstaltungen zurückgreift und auf diese Weise keine zusätzlichen Kosten verursacht. So wie eine atheistische Religion möglich ist, so kann ja auch Theologie aus einer atheistischen Perspektive heraus in sinnvoller Weise betrieben werden. Im internationalen wissenschaftlichen Diskurs und im interreligiösen Dialog herauszufinden, wo jeweils die relevanten Knackpunkte – auch solche für Veränderungen zum Besseren hin – liegen, könnte sich als eine in mehrfacher Hinsicht fruchtbare und gesellschaftlich sehr relevante Herausforderung erweisen.

Praxis

Wir wollen eine gute, lebens- und menschenfreundliche Religion entwickeln und verwirklichen, die das Leben vieler Menschen auch tatsächlich bereichern kann. Gemeinsam wollen wir Rituale sammeln und entwickeln (zum Beispiel zur Begrüßung eines neugeborenen Menschen, zur Verabschiedung eines verstorbenen Menschen bei einem Begräbnis, etc.). Wir wollen gemeinsame Feste feiern und ein österreichweites Netzwerk aufbauen. Alles das jeweils dann, wenn wir so weit sind bzw. wenn sich Mitglieder auch wirklich schon damit beschäftigen.

Für einen nachhaltigen Erfolg unserer Atheistischen Religionsgesellschaft wird es wichtig sein, dass sich ausreichend viele Mitglieder an diesem Projekt beteiligen und dass es ausreichend vielen von ihnen gelingt, im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten zu einer guten Weiterentwicklung unserer Atheistischen Religionsgesellschaft beizutragen.

Rechtlicher Status

Einiges lässt sich unter den derzeitigen Rahmenbedingungen wohl erst mit dem Rechtsstatus einer staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft oder sogar erst einer gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft verwirklichen. Der Antrag beim Kultusamt wird ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur vollen Anerkennung und Gleichberechtigung sein. Im Verwaltungsverfahren zu unserem Antrag wird das Kultusamt verbindlich zu prüfen haben, ob es sich hier um eine Religion handelt. Eine Mitgliedschaft bei uns trägt daher auch zur Ermöglichung dieser spannenden religionsrechtlichen Überprüfung bei. Ebenso trägt jede weitere kostenlose Mitgliedschaft bei uns grundsätzlich dazu bei, die dokumentierbare Anzahl bekennender Atheistinnen und Atheisten zu erhöhen und entsprechend sichtbar zu machen; sie stellt damit einen wertvollen Beitrag zu verlässlichen aktuellen Angaben zur österreichischen Religionsstatistik dar. Eine staatliche Eintragung beim Kultusamt verschafft uns sicherlich einen besonderen Zugang zu interessanten Möglichkeiten, der uns so in dieser Form sonst nicht offensteht.

Alles das ist natürlich auch mit einer großen Verantwortung verbunden, und zwar nicht nur gegenüber unseren Mitgliedern und uns selbst gegenüber. Wir sind uns dieser großen Verantwortung sehr bewusst.

Gemäß § 3 Absatz 1 unserer Statuten verfolgen wir

als religiöse Bekenntnisgemeinschaft “Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich” das langfristige Ziel einer vollen Gleichberechtigung und Anerkennung als Religionsgesellschaft in Österreich. Wir wollen damit neue Räume der kulturellen Partizipation eröffnen und einen gesellschaftlichen Wandlungsprozess dessen, was als Religion wahrgenommen, angenommen und wie sie gelebt wird, sichtbar machen.

Und gemäß § 3 Absatz 2 schließen wir uns

zu einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft zusammen, um die Fragen, die sich aus der in § 2 genannten Religionslehre ergeben, gemeinsam zu behandeln. Ein zentraler Zweck dabei ist es, Konzepte für wirksame und heilsame Seelsorge zu erarbeiten und diese Seelsorge dann zu verwirklichen. Als Teil des seelsorgerischen Konzeptes können wir zum jetzigen Zeitpunkt absehen, dass wir Konzepte wie Tempel und Kloster für Seelsorge in unserem Verständnis nutzen wollen.


Über Wilfried Apfalter

Ich halte unsere Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) für ein in mehrfacher Hinsicht sehr spannendes Projekt und bin fasziniert von dem, was alles möglich ist bzw. sein wird.

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